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30.06.2024 22:00:17 - dpa-AFX: ROUNDUP 3/Parlamentswahl in Frankreich: Rechtsnationale könnten Mehrheit holen

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    PARIS (dpa-AFX) - Das rechtsnationale Rassemblement National könnte künftig

stärkste Kraft in der französischen Nationalversammlung werden. Hochrechnungen
zufolge landete es mit seinen Verbündeten in der ersten Runde der vorgezogenen
Parlamentswahl in Frankreich mit 33 bis 34,2 Prozent vorne.

Das Mittelager von Präsident Emmanuel Macron landete demnach mit 20,7 bis 22 Prozent auf Platz drei hinter dem Linksbündnis Nouveau Front Populaire mit 28,1
bis 29,1 Prozent. Wie viele Sitze die Blöcke in der Nationalversammlung
bekommen, wird aber erst in Stichwahlen am 7. Juli entschieden.

Für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist das Ergebnis eine herbe
Niederlage. Er hatte darauf gesetzt, mit der vorgezogenen Neuwahl die relative
Mehrheit seiner Mitte-Kräfte im Unterhaus auszubauen. Das scheint nun äußerst
unwahrscheinlich.

Erste Prognosen gehen davon aus, dass Marine Le Pens Rechtspopulisten und
ihre Verbündeten im Unterhaus mit 230 bis 280 Sitzen stärkste Kraft werden
könnten. An der absoluten Mehrheit mit 289 Sitzen könnten sie aber
vorbeischrammen.

Le Pen rief dazu auf, der Partei bei den kommenden Stichwahlen zu einer
absoluten Mehrheit zu verhelfen. "Nichts ist gewonnen, die zweite Runde ist
entscheidend." In der Politik sei nichts gewöhnlicher als ein Machtwechsel,
sagte Le Pen. Sie warnte vor falscher Angstmache gegen ihre Partei.
RN-Parteichef Jordan Bardella kündigte an, mit einer absoluten Mehrheit im
Parlament als Ministerpräsident die Regierung übernehmen zu wollen.

Auch die Linken könnten zulegen und auf 125 bis 200 Sitze kommen. Macrons
Liberalen droht, auf nur noch 60 bis 100 Sitze abzusacken. Genaue Aussagen zur
Sitzverteilung sind bisher aber schwierig. Vor der zweiten Wahlrunde können die
Parteien noch lokale Bündnisse schmieden, die den Wahlausgang beeinflussen.

Der Gründer der Linkspartei rief die eigenen Kandidaten bereits in
bestimmten Fällen zu einem Rückzug auf: In den Wahlkreisen, in denen das
Linksbündnis auf Platz drei und die Rechten auf Platz eins in die Stichwahlen
gingen, sollten sich die linken Kandidaten zurückziehen.

Auch das Macron-Lager kündigte an: In den Wahlkreisen, in denen man auf dem
dritten Platz gelandet sei, werde man zugunsten der Kandidaten zurücktreten, die
in der Lage sind, das Rassemblement National zu schlagen.

Sollten sich Prognosen bewahrheiten und keines der Lager eine absolute
Mehrheit erlangen, stünde Frankreich vor zähen Verhandlungen um eine Koalition.
Ein Zusammenkommen der grundverschiedenen politischen Akteure ist derzeit nicht
absehbar. Erschwerend kommt hinzu, dass die französische politische Kultur eher
auf Konfrontation als auf Kooperation ausgelegt ist.

Gemeinsam könnten die Oppositionskräfte womöglich die derzeitige Regierung
des Macron-Lagers stürzen. Ohne eine Einigung auf eine Zusammenarbeit dürfte
aber auch keine andere Regierung eine Mehrheit im Parlament finden. Möglich ist,
dass die aktuelle Regierung in einem solchen Fall als eine Art
Übergangsregierung im Amt bleibt oder eine Expertenregierung eingesetzt wird.

Frankreich würde in einem solchen Szenario politischer Stillstand drohen.
Neue Vorhaben könnte eine Regierung ohne Mehrheit nicht auf den Weg bringen.
Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und Neuwahlen sind erst im
Juli 2025 wieder möglich.

Für Deutschland und Europa hieße das, dass Paris als wichtiger Akteur in
Europa und Teil des deutsch-französischen Tandems plötzlich nicht mehr
tatkräftig zur Verfügung stehen würde. Statt neuen Initiativen stünde in
Frankreich Verwaltung an der Tagesordnung. Das Amt von Staatschef Macron bleibt
von der Wahl zwar unangetastet, doch ohne handlungsfähige Regierung könnte auch
er seine Projekte nicht durchsetzen.

Sollte das RN noch besser abschneiden, als in Prognosen erwartet wird, und
die absolute Mehrheit holen, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier aus
den Reihen der Rechtsnationalen zu ernennen. Denn das Unterhaus kann die
Regierung stürzen. In einem solchen Szenario würde Macron deutlich an Macht
einbüßen, der Premierminister würde wichtiger. Deutschland und Europa müssten
sich darauf einstellen, dass das gespaltene Land keinen klaren Kurs mehr
verfolgt und unzuverlässiger wird.

Im Gegensatz zu Macron gibt das RN wenig auf die seit Jahrzehnten enge
Zusammenarbeit mit Deutschland. Die europaskeptischen Nationalisten streben
zudem danach, den Einfluss der Europäischen Union in Frankreich entscheidend
einzudämmen. Sie könnten versuchen, in Brüssel etliche Vorhaben aus
Eigeninteressen auszubremsen. Auch sind sie gegen die Erweiterung der EU, und
sie stehen der Nato skeptisch gegenüber.

Als Präsident hat zwar Macron in der Außenpolitik Vorrang. Sollte RN-Chef
Jordan Bardella oder ein anderer Rechtspopulist Premier werden, dürfte er seine
Linie aber schwerlich ungehindert fortsetzen können.

Das RN profitierte von dem Schwung der Europawahl, bei der die Partei
deutlich stärkste Kraft in Frankreich wurde. Bereits seit Jahren ist Le Pen
zudem bemüht, das RN zu "entteufeln" und von seiner rechtsextremen Geschichte
und Parteigründer Jean-Marie Le Pen und dessen Holocaustverharmlosung zu
entkoppeln.

Mit ihrem Weichspülkurs hat sie die Partei bis weit in die bürgerliche Mitte hinein wählbar gemacht. Mit Jordan Bardella steht zudem nun ein frischer
Politiker an der Spitze, der besonnener auftritt als Strippenzieherin Le Pen und
nicht mit deren Familienclan verbandelt ist. Die Partei dürfte zudem von der
Verunsicherung angesichts der multiplen globalen Krisen sowie von Frust und
Enttäuschung über Macron profitiert haben.

Staatschef Macron und seinen Anhängern dürfte die überraschende Einigkeit
des linken Lagers bei der Wahl zum Verhängnis geworden sein. Mehrfach hatte er
zur Zusammenarbeit gegen die Extreme aufgerufen. Jedoch schlossen sich weder die
konservativen Républicains noch Sozialisten oder Grüne für die Wahl mit ihm
zusammen. Die Auflösung der Nationalversammlung wurde von vielen in Frankreich
als unverantwortlich gewertet. Auch dies lasteten Französinnen und Franzosen
Macron an.

Das linke Lager punktete mit dem neu geformten Bündnis, hinter das sich
trotz interner Unstimmigkeiten etliche Menschen aus dem linken Spektrum
stellten. Dass die Führungsfrage, also wer bei einem Wahlsieg Premier werden
soll, offen gelassen wurde, dürfte zudem auch jene Wähler ins Boot geholt haben,
die einem Bündnis mit dem populistischen Altlinken Jean-Luc Mélenchon kritisch
gegenüberstehen.

Die Wahlbeteiligung lag den Instituten zufolge bei 65,8 bis 67 Prozent.
Macron erklärte dem Élysée-Palast zufolge, dass die hohe Wahlbeteiligung den
Willen zeige, die politische Situation zu klären. Mit Blick auf das RN-Ergebnis
sagte er, es sei an der Zeit, für den zweiten Wahlgang einen breiten, eindeutig
demokratischen und republikanischen Zusammenschluss zu bilden./rbo/DP/zb

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