23.06.2024 14:44:24 - dpa-AFX: EM 2024/Georgiens historischer Punkt: Aber Sagnol hat genug von Hamburg

HAMBURG (dpa-AFX) - Von Hamburg hat Willy Sagnol erst einmal genug. Der
packende Verlauf des EM-Spiels gegen Tschechien (1:1) erinnerte den Trainer der
georgischen Nationalmannschaft am Samstag an seine besten Zeiten, als er noch
Spieler des FC Bayern München war. Denn seine erste deutsche Meisterschaft mit
den Bayern gewann er 2001 auch im Hamburger Volksparkstadion. Damals schoss sein
Teamkollege Patrik Andersson tief in der Nachspielzeit des letzten Spieltags
noch ein Tor, während man beim FC Schalke 04 schon den vermeintlichen
Titelgewinn feierte.

23 Jahre später bahnte sich am selben Ort schon wieder ein Stück
Fußball-Geschichte an. Diesmal liefen gleich drei Georgier in der letzten Aktion
des Spiels auf das tschechische Tor zu und hatten den ersten Sieg des kleinen
Landes bei einem großen Turnier auf dem Fuß. Doch anders als Andersson 2001
donnerte der Flügelstürmer Saba Lobjanidze den Ball diesmal über statt in das
Tor und Sagnol sagte hinterher: "Ich glaube nicht, dass ich hier noch einmal
herkommen möchte. Er ist zu ermüdend, zu nervenaufreibend."

Seit 2021 ist der 47 Jahre alte Franzose mittlerweile Nationaltrainer
Georgiens. Und seit diesem Wochenende ist er nicht mehr nur der erste Coach, der
diese fußballbegeisterte frühere Sowjetrepublik zu einer Welt- oder
Europameisterschaft führte. Sondern, der da auch noch etwas Zählbares holte.
Großchance hin oder her: "Mein stärkstes Gefühl ist definitiv Stolz", sagte
Sagnol nach dem ersten Punktgewinn der georgischen EM-Geschichte. "Wenn du
weißt, woher wir kommen, kann man nicht enttäuscht sein."

Prominente Trainer hatten die Georgier auch schon vor ihm. Den Deutschen
Klaus Toppmöller oder den Argentinier Hector Cuper etwa, die mit ihren
Vereinsteams auch im Champions-League-Finale standen. Oder den Franzosen Alain
Giresse, der 1984 an der Seite von Michel Platini den EM-Titel gewann.

Aber anders als seine Vorgänger hat Sagnol mittlerweile auch Spieler von
internationaler Klasse wie den Stürmer Kwicha Kwaratschelia (SSC Neapel) oder
den am Samstag überragenden Torwart Giorgi Mamardaschwili (FC Valencia) im Team.
Und eine wichtige Fähigkeit des Trainers besteht darin, dass er seinen Spielern
gegenüber nie den ehemaligen Europameister, Champions-League-Sieger und
Bayern-Profi heraushängen lässt. Sondern, dass er sie immer dort abholt, wo sie
gerade stehen.

Den bedauernswerten Lobjanidze nahm Sagnol nach dem Schlusspfiff in Hamburg
als Ersten in den Arm. "Ich bin zu ihm gegangen, weil ich mir gut vorstellen
konnte, wie er sich in diesem Moment fühlt", sagte er. "Ich habe versucht, ihm
zu sagen: Wer es nicht versucht, kann es auch nie schaffen. Aber du kannst in
diesem Moment eine Menge sagen. Du weißt nur nicht, ob der Spieler das in diesem
Moment auch hören will."

Was die Georgier aber sicher wissen: Sie haben im letzten Gruppenspiel gegen Portugal (Mittwoch, 21.00 Uhr/MagentaTV) noch die Chance, das Achtelfinale zu
erreichen. Ein Sieg sollte dafür reichen. Und Portugals Trainer Roberto Martinez
deutete am Samstagabend bereits an, einige Stammspieler in dieser Partie in
Gelsenkirchen zu schonen.

"Es ist Portugal", sagte Sagnol dazu nur. "Ich will diese Karte eigentlich
nicht ausspielen: kleines Team gegen großes Team. Aber es ist Portugal!" Mit
Cristiano Ronaldo, Bernardo Silva und lauter anderen Spielern, die jetzt
ungefähr so erfolgreich sind, wie es Sagnol früher einmal war. Der ehemalige
Bayern-Spieler kam am Ende aber doch noch einmal in ihm hervor: "Wir werden es
versuchen", sagte Sagnol. "Denn ich bin ein Wettkämpfer. Ich möchte
gewinnen!"/sti/two/DP/he

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