20.06.2024 06:30:02 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Israel und Hisbollah betonen Kampfbereitschaft - Nacht im Überblick

(Aktualisierung: Bericht über Schätzungen zu Geiseln)

TEL AVIV/BEIRUT (dpa-AFX) - Im Konflikt zwischen Israel und der
Hisbollah-Miliz im Libanon verschärfen beide Seiten ihre Drohgebärden.
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah betonte am Mittwochabend die Kampfbereitschaft
seiner Schiitenmiliz. "Wenn sie dem Libanon einen Krieg aufzwingen, wird der
Widerstand ohne Grenzen zurückschlagen", sagte er bei einer öffentlichen
Ansprache. Nach der Veröffentlichung mutmaßlicher Luftaufnahmen von Nordisrael
durch die Hisbollah spielte Israels Generalstabschef Herzi Halevi Sorgen über
die Kompetenzen des eigenen Militärs herunter. "Wir haben natürlich unendlich
viel größere Fähigkeiten, von denen der Feind meiner Meinung nach nur wenige
kennt", sagte er laut Mitteilung vom Mittwochabend. Die Armee stelle sich auf
die Fähigkeiten der Hisbollah ein.

Erneut gegenseitige Angriffe im Grenzgebiet

Israels Militär hatte zuvor nach eigenen Angaben "operative Pläne für eine
Offensive im Libanon" genehmigt und damit Sorgen vor einer Eskalation geschürt.
Seit Beginn des Kriegs zwischen Israel und der mit der proiranischen Hisbollah
verbündeten Islamistenorganisation Hamas im Gazastreifen kommt es täglich zu
militärischen Konfrontationen zwischen Israels Armee und der Hisbollah im
Grenzgebiet zwischen Israel und Libanon. Die Lage hat sich zuletzt deutlich
zugespitzt. Bei einem israelischen Angriff im Südlibanon waren am Mittwoch
libanesischen Angaben zufolge mindestens drei Mitglieder der Hisbollah getötet
worden.

Israels Militär bestätigte den Angriff. Die Hisbollah reklamierte wiederum
einen Angriff auf israelische Soldaten in Metulla im Norden Israels für sich.
Das israelische Militär bestätigte, dass eine Drohne aus dem Libanon in der
Gegend um Metulla abgestürzt sei. Verletzte gab es demnach nicht. Zwar zögerten
Israel und die proiranische Schiitenmiliz bislang, ihre Feindseligkeiten in
einen größeren Konflikt auszuweiten, doch signalisierten beide Seiten zunehmend
die Absicht, ihren Kampf auszuweiten, schrieb das "Wall Street Journal".

Die Genehmigung von Plänen für eine Offensive durch Israels Armee sei "Teil
der Bemühungen, der Hisbollah die Botschaft zu übermitteln, ihre Aktivitäten
einzuschränken und ihre Bereitschaft zu zeigen, sich auf eine Art von Lösung
zuzubewegen", zitierte die Zeitung Jossi Kuperwasser, ehemaliger Leiter der
Forschungsabteilung des israelischen Militärgeheimdienstes. Israel will durch
militärischen und diplomatischen Druck erreichen, dass sich die Hisbollah wieder
hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so
wie es eine UN-Resolution aus dem Jahr 2006 vorsieht. Die proiranische
Schiitenmiliz gilt als deutlich schlagkräftiger als die Hamas im Gazastreifen.

Armeesprecher: Können die Hamas nicht eliminieren

Dort ist Israel ist nach Einschätzung von Experten noch weit von einem Sieg
über die Hamas entfernt. Ein Sprecher der israelischen Armee forderte in einem
Interview mit Nachdruck eine politische Vision für die Zukunft des
Gazastreifens. "Die Hamas ist eine Idee, sie ist eine Partei. Sie ist in den
Herzen der Menschen verwurzelt. Wer glaubt, wir könnten die Hamas ausschalten,
irrt sich", sagte Armeesprecher Daniel Hagari am Mittwochabend dem israelischen
Sender Channel 13. Es müsse eine Alternative für die Hamas auf politischer Ebene
gefunden werden, um sie im Gazastreifen zu ersetzen, forderte Hagari in dem
Interview weiter. Ansonsten werde die islamistische Terrororganisation
weiterbestehen, mahnte er. Über die Zerstörung der Hamas zu reden, führe die
Öffentlichkeit in die Irre.

Mit den Aussagen weckte er Zweifel am erklärten Kriegsziel der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu: Die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen
zu beenden sowie ihre militärischen Fähigkeiten zu zerstören. Die Armee sei "dem
natürlich verpflichtet", hieß in einer Mitteilung des Büros des
Ministerpräsidenten nach Hagaris Äußerungen. Netanjahu hatte wiederholt vom
"totalen Sieg" über die Hamas gesprochen. Die Worte des Armeesprechers
spiegelten die wachsende Frustration der Militärführung über das Versagen der
Regierung Netanjahu wider, eine Nachkriegsalternative zur Hamas-Herrschaft im
Gazastreifen zu entwickeln, schrieb die "New York Times". Bereits vor einem
Monat hatte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant die
Unentschlossenheit seines Landes in der Frage, wer nach dem Krieg in Gaza
herrschen soll, scharf kritisiert.

Kein Plan für eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen

Es müsse eine politische Alternative zur Herrschaft der Hamas im
Gazastreifen geschaffen werden, hatte Galant gefordert. Ohne eine solche
Alternative blieben nur zwei negative Optionen, nämlich eine Fortsetzung der
Hamas-Herrschaft oder eine israelische Militärherrschaft. Ex-General Benny Gantz
verließ kürzlich das Kriegskabinett, weil die Regierung keinen Plan für eine
Nachkriegsordnung im Gazastreifen erarbeitet. Bis heute hat Netanjahu einen
solchen Plan nicht vorgelegt - wohl auch, um seine ultrarechten
Koalitionspartner, von denen sein politisches Überleben abhängt, nicht vor den
Kopf zu stoßen. Diese fordern eine Wiedererrichtung israelischer Siedlungen im
Gazastreifen.

Netanjahu lehnt dies ab. Die USA als Israels wichtigster Verbündeter wollen, dass die im Westjordanland regierende palästinensische Autonomiebehörde auch im
Gazastreifen wieder die Kontrolle übernimmt
- und damit auch eine Zweistaatenlösung als umfassenden Ansatz zur
Befriedung des Nahen Ostens vorantreiben. Doch auch das lehnt Netanjahu bislang
ab. Kritiker werfen ihm vor, mangels eines klaren Plans für die Stabilisierung
und Verwaltung des Gazastreifens zuzulassen, dass das abgeriegelte Küstengebiet
im Chaos versinkt. Israels Armee drohe, von der Hamas in einen endlosen
Guerilla-Krieg verwickelt zu werden.

Man müsse mangels einer politischen Strategie immer wieder an Orten kämpfen, die die Armee eigentlich zuvor eingenommen hatte, beklagte erst unlängst Israels
Generalstabschef Halevi und warnte laut Medienberichten vor einer
"Sisyphusarbeit". Sein Militärsprecher Hagari warnte in dem Channel 13-Interview
nun außerdem, dass es nicht möglich sei, alle im Gazastreifen noch
festgehaltenen Geiseln durch Armeeeinsätze zu befreien. Die Hamas weiß nach
kürzlichen Angaben ihres Sprechers Osama Hamdan nicht, wie viele der rund 120 in
Gaza vermuteten Geiseln noch leben. Befürchtet wird, dass ein Großteil von ihnen
tot ist.

Das "Wall Street Journal" berichtete am frühen Donnerstag unter Berufung auf Vermittler bei den indirekten Geiselverhandlungen sowie auf einen mit
US-Geheimdienstinformationen vertrauten US-Beamten, dass die Zahl der noch
lebenden Geiseln bei nur 50 liegen könnte. Diese Einschätzung stütze sich zum
Teil auf israelische Geheimdienstinformationen. Seit Monaten laufen Bemühungen,
durch indirekte Verhandlungen Israel zu einer Waffenruhe und die Hamas zur
Freilassung der israelischen Geiseln zu bewegen - bislang ohne Erfolg./ln/DP/stk

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