07.07.2024 14:41:00 - dpa-AFX: POLITIK: Gender-Wahn oder gerechtere Welt? Grabenkämpfe bei UN

GENF (dpa-AFX) - Bei den Vereinten Nationen toben an immer mehr Fronten
Grabenkämpfe um die Rechte von Frauen und Menschen mit unterschiedlicher
sexueller Orientierung. Einige Länder versuchen, jeden Bezug auf den Schutz
dieser Rechte aus UN-Texten zu streichen.

"Ich bin zutiefst besorgt über die Angriffe von autoritären Staaten und
religiös-fundamentalistischen Akteuren auf die mühsam erkämpften
Menschenrechtsstandards für Frauen und LGBTQI+ Personen", sagt die deutsche
Botschafterin, Katharina Stasch, der Deutschen Presse-Agentur. "Die Angriffe
höhlen die Grundprinzipien von Gleichheit und Menschenwürde aus, für die die
Vereinten Nationen stehen. Wir müssen entschieden gegen diese Rückschritte
vorgehen."

LGBTQI+ steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-, intergeschlechtliche
und queere Menschen, die sich nicht mit dem traditionellen Rollenbild von Mann
und Frau oder gesellschaftlichen Normen rund um Geschlecht und Sexualität
identifizieren.

"Unheilige Allianz"

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sieht mit Sorgen, dass etablierte Rechte infrage gestellt werden. "Was wir im Laufe der Jahre gesehen
haben, ist eine ausgeklügelte, sehr strategische, unheilige Allianz
verschiedener Gruppen. Zum Beispiel religiöse Fundamentalisten jeglicher Art,
Populisten und diejenigen, die Angst und Spaltung schüren." Er prangert auch
patriarchale und frauenfeindliche Haltungen an.

Der Menschenrechtsrat als Streitbühne

Die Grabenkämpfe zeigen sich zurzeit im UN-Menschenrechtsrat. Dort wird bei
Verhandlungen über Resolutionen nächtelang um jede Formulierung mit Gender-Bezug
gestritten, sagen Verhandlerinnen und Verhandler. Mit Gender sind hier Bezüge
auf den besonderen Schutz von Frauen oder die Geschlechtsidentität von Menschen
gemeint.

Als Wortführer, die diese Diskussionen forcieren, gelten Länder der
Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC), allen voran Pakistan und
Ägypten. Diplomaten beider Länder haben auf Anfragen nicht reagiert. Auch
Vertreter einiger afrikanischer Länder machen mobil gegen Gender-Themen, heißt
es in Genf. Sie prangerten plötzlich koloniales Gehabe an, mit dem westliche
Länder ihnen ihre Werte aufzwingen wollten.

Missionarische Organisationen aus den USA stachelten Regierungen auf, sich
Bestrebungen zu besserem Schutz von LGBTQI+ zu widersetzen, berichten
Diplomaten. Auch der Vatikan spiele bei Vorstößen gegen Gender-Themen mit.
Russland stoße dazu, um in seiner Isolation nach dem Einmarsch in der Ukraine
neue Allianzen zu finden.

Deutsche Botschafterin schreibt Protestbrief

Auch bei UN-Dokumenten, die jahrelang problemlos durchgewinkt wurden, gibt
es inzwischen Diskussionen, selbst in Budget- oder Personalpapieren, sagen
Diplomatinnen und Diplomaten. Einige fürchten bei UN-Organisationen schon
vorauseilenden Gehorsam. Botschafterin Stasch und mehr als 20 Kolleginnen und
Kollegen haben zum Beispiel beim Generaldirektor der internationalen
Arbeitsorganisation (ILO), Gilbert Houngbo, protestiert.

Dort war im Juni aus einem Dokument stillschweigend der Bezug auf ein längst veröffentlichtes Papier zu LGBTQI+ Rechten am Arbeitsplatz gestrichen worden.
Bei den UN in New York wurde auch schon gegen das Hissen der Regenbogenflagge
protestiert, die Toleranz gegenüber allen Menschen symbolisiert, die sich nicht
im traditionellen Rollenbild zwischen Mann und Frau sehen.

Druck auch in Deutschland

Nicht nur bei den Vereinten Nationen, auch in Deutschland gebe es bei dem
Thema Gegendruck, heißt es beim Dachverband der Organisationen ILGA, die sich
für diese Rechte einsetzt.

Populistische und konservative Flügel von Parteien gingen mit Kritik am
Gender-Thema auf Stimmenfang, sagt ILGA-Sprecherin Julia Ehrt. Eingebettet sei
dies im weltweiten Rechtsruck mit der Rückbesinnung auf angeblich nationale,
kulturelle Werte. "Diese Dynamik ist besorgniserregend. Damit wird nur von
Themen wie soziale Gerechtigkeit abgelenkt", sagte sie./oe/DP/he

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