16.05.2024 13:09:20 - dpa-AFX: SPORT/STICHWORT: Spektakuläre Trainer-Wende? Diskussionen um Tuchel-Verbleib

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Es wäre die spektakulärste Trainer-Wende im deutschen
Fußball. Thomas Tuchel könnte trotz der beschlossenen Trennung für diesen Sommer
doch länger beim FC Bayern München im Amt bleiben. Nach der bislang missglückten
Suche nach einem Nachfolger für den 50-Jährigen ist dessen Weiterbeschäftigung
dem Vernehmen nach mehr als nur ein Gedankenspiel an der Säbener Straße. Dass
Tuchel-Berater Olaf Meinking am Vereinsgelände auftauchte, befeuerte die
Spekulationen. Was für und was gegen einen Verbleib Tuchels bei den Bayern
spricht:

Pro

Absagen und Alternativen

Bayerns Suche nach dem Tuchel-Nachfolger ist bislang erfolglos.
Wunschkandidat Xabi Alonso sieht seine Zukunft weiter bei Meister Leverkusen,
Julian Nagelsmann bleibt lieber Bundestrainer und Österreichs Nationaltrainer
Ralf Rangnick sagte ab, als der FC Bayern von ihm als neuem Coach ausging. Der
frühere Wolfsburg- und Frankfurt-Coach Oliver Glasner kommt auch nicht nach
München, Roberto De Zerbi bekannte sich zu Brighton & Hove Albion. Die
Verpflichtung des einstigen Weltstars und Real-Madrid-Erfolgscoachs Zinédine
Zidane
- bei dem es sprachliche Barrieren gegeben hätte - wurde bislang kein
ganz heißes Thema.

Geld

Die Bayern würden bei einem Tuchel Verbleib einige Millionen Euro sparen, da sie keine weitere Abfindung und parallel einem neuen Trainer ein üppiges Gehalt
zahlen müssten. Stattliche Summen mussten die Münchner bereits den früheren
Vorständen Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic sowie dem ehemaligen Coach
Nagelsmann und dessen Trainerteam zahlen.

Fürsprecher

Kapitän Manuel Neuer, Sprachrohr Thomas Müller, Torjäger Harry Kane und
Nationalspieler Jamal Musiala sollen sich für Tuchel starkgemacht haben. Von den
Fans wurde Tuchel zuletzt auch bejubelt, etwa nach dem Halbfinal-Aus in der
Königsklasse bei Real Madrid. Erfolge und gute Leistungen könne man nur
gemeinsam erreichen, sagte Tuchel zum Miteinander. "Man hat auch gespürt: Das
geht nur zusammen mit Trainerteam, Mannschaft und Publikum."

Finale Leistungssteigerungen

Zwei starke Spiele gegen Arsenal, zwei überzeugende Auftritte gegen Real
Madrid - der unglücklich gestoppte Weg ins Champions-League-Endspiel sorgte für
reichlich Pluspunkte in der Bewertung der Tuchel-Arbeit. Seine taktische
Herangehensweise in den K.o.-Duellen gegen die Spitzenclubs aus England und
Spanien gefielen Stars und Bossen. Und das in einer Saison, in der viele
Ausfälle dafür sorgten, dass der Kader nicht sein komplettes Leistungsniveau
entfalten konnte.

Sportvorstand Max Eberl

Als Eberl kam, war die Trennung von Tuchel zum Saisonende schon beschlossene Sache. Der 50 Jahre alte Sportvorstand ließ sich in der Tuchel-Debatte stets die
Optionen offen. Statt etwas auszuschließen oder zu bekräftigen, verwies Eberl
auf die bereits zu seinem Amtsantritt geschlossene Vereinbarung. "Ich glaube,
dass das gut werden könnte", sagte Tuchel über das Miteinander mit seinem neuen
Chef. Eberl könnte Tuchel auch in der Tagesarbeit zusammen mit Sportdirektor
Christoph Freund den Rücken frei halten.

Kontra

Kehrtwende

Kann das gut gehen? "Wir sind in einem offenen, guten Gespräch zu dem
Entschluss gekommen, unsere Zusammenarbeit zum Sommer einvernehmlich zu beenden.
Unser Ziel ist es, mit der Saison 2024/25 eine sportliche Neuausrichtung mit
einem neuen Trainer vorzunehmen", sagte Vorstandschef Jan-Christian Dreesen im
Februar. Kann so eine Neuausrichtung auch mit dem Trainer gelingen, den man
eigentlich nicht mehr haben wollte? Bei den nächsten Misserfolgen dürfte es eine
heftige Debatte geben.

Uli Hoeneß

Vor den Halbfinal-Duellen mit Real Madrid bemängelte Ehrenpräsident Hoeneß
bei einem öffentlichen Auftritt die Arbeit von Tuchel bei der Entwicklung von
jungen Spielern. Tuchel fühlte sich in seiner "Trainer-Ehre" verletzt, die
"Anschuldigungen" seien "meilenweit" von der Realität entfernt. Hoeneß ist zwar
nicht mehr für das operative Geschäft des Clubs verantwortlich, als
Aufsichtsratsmitglied und Mr. FC Bayern aber weiter sehr mächtig.

Kritik

Tuchels direkte Art kommt nicht bei allen gleich gut an. "Jetzt gibt dir das als Trainer auf jeden Fall ein paar Prozente an Entscheidungsspielraum, wo du
ein bisschen rücksichtsloser sein kannst", sagte er nach der
Februar-Entscheidung zum vorzeitigen Vertragsende. Die Klarheit brachte Tuchel
Freiheit in seinen Entscheidungen und Aussagen. Etwa, als er Kritik an Team oder
Stars übte. Schon im Sommer eckte er an. Er heizte Spekulationen um einen Abgang
von Leon Goretzka an. Die fortwährenden Forderungen nach einer "Holding Six"
waren nicht zugunsten des letztjährigen Mittelfeldchefs Joshua Kimmich, der
mittlerweile rechts hinten verteidigt. Auch als er gleich nach wenigen Wochen im
Amt den Begriff der "Thomas-Müller-Spiele" prägte, sorgte das für Unruhe.

Alternativen

Die hat Tuchel sicher. "Ich werde alles in Ruhe überlegen. Ich werde mir die Zeit nehmen", sagte er vor dem letzten Bundesliga-Heimspiel. Der 50-Jährige gilt
als Kandidat auf den Trainerposten bei Manchester United, wo Erik ten Hag stark
in der Kritik steht. Die Premier League schätzt Tuchel ohnehin besonders - zumal
in England Trainer deutlich mehr Macht und Gestaltungsspielraum haben.

Tuchels Vorstellungen

Tuchel ist es wichtig, nach all den Absagen möglicher Nachfolger nicht wie
eine Notlösung zu wirken oder nur ein Übergangskandidat zu sein. Er dürfte daher
einen Vertrag über das ursprünglich vereinbarte Ende im Juni 2025 wollen. Ist
das im Aufsichtsrat durchsetzbar? Tuchel dürfte darüber hinaus ein
Mitspracherecht bei Transfers haben wollen. Stellt der Coach damit zu viele
Forderungen? Was kann der FC Bayern erfüllen?/msw/DP/stk

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