28.06.2024 14:11:29 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Nach EU-Gipfel: Für von der Leyen beginnt Endspurt im Rennen um Topjob

(neu: mehr Details und Hintergrund)

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Für Ursula von der Leyen beginnt nach ihrer Nominierung
durch die europäischen Staats- und Regierungschefs der Endspurt im Rennen um
eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission. Um ihren Spitzenposten
für weitere fünf Jahre behalten zu können, muss die deutsche Politikerin in den
nächsten Wochen eine Mehrheit der Abgeordneten im neuen EU-Parlament hinter sich
bringen.

Das informelle Bündnis, das ihre europäischen Parteienfamilie EVP mit den
Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen (Renew) bildet, hat dort zwar theoretisch
eine komfortable Mehrheit von etwa 400 der 720 Stimmen. Es wird aber für möglich
gehalten, dass manche Abgeordnete in der geheimen Wahl von der Fraktionslinie
abweichen und der Deutschen nicht ihre Stimme geben. Das Votum erfolgt nach
derzeitiger Planung am 18. Juli. Sollte von der Leyen in der Abstimmung
durchfallen, müssten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten einen
anderen Kandidaten aufstellen.

Die nächsten Wochen sind entscheidend

Von der Leyen kündigte am Freitag nach ihrer Nominierung beim EU-Gipfel in
Brüssel an, in den nächsten Wochen mit unterschiedlichen Parteien und Gruppen im
Europäischen Parlament reden zu wollen. Wichtig für sie sei, dass diese
pro-europäisch, pro-ukrainisch und pro Rechtsstaatlichkeit seien, sagte sie.
Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich zuversichtlich, dass von der Leyen gewählt
wird. "Die Präsidentin hat ja doch einen ganz guten Ruf im Parlament", sagte der
SPD-Politiker nach dem Treffen.

Zusätzliche Stimmen könnte von der Leyen vor allem von Grünen-Abgeordneten
bekommen. So hatte der frühere europäische Grünen-Chef und scheidende deutsche
EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer seine Parteifreunde jüngst zur Unterstützung
ihrer Wiederwahl aufgerufen und dies damit begründet, dass das von Scholz und
anderen führenden europäischen Staats- und Regierungschefs ausgehandelte Paket
zur Neubesetzung der EU-Spitzenposten nach der Europawahl das Beste sei, was man
bekommen könne.

Früherer portugiesischer Regierungschef hat EU-Topjob sicher

Das Paket umfasst neben der Nominierung von der Leyens auch noch die
Entscheidung, dass der sozialdemokratische frühere portugiesische Regierungschef
António Costa nächster Präsident des Europäischen Rates wird und die estnische
Regierungschefin Kaja Kallas zur EU-Außenbeauftragten ernannt werden soll. Costa
wird dann als Nachfolger des Belgiers Charles Michel dafür zuständig sein, die
EU-Gipfel vorzubereiten und die Arbeitssitzungen zu leiten. Kallas würde nach
Bestätigung der neuen EU-Kommission durch das Parlament auf den Spanier Josep
Borrell folgen.

Die Präsidentschaft der EU-Kommission ist allerdings die mit Abstand
wichtigste Position. Dem Amtsinhaber sind rund 32 000 Mitarbeiter unterstellt,
die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen. Zudem sitzt die
Kommissionspräsidentin bei fast allen großen internationalen Gipfeltreffen wie
G7 oder G20 als EU-Repräsentantin mit am Tisch.

Offenheit nach Rechts ist Angriffspunkt

Nicht einfach werden die Gespräche für von der Leyen vor allem deswegen,
weil sie und ihre Parteienfamilie EVP im Wahlkampf auch eine Zusammenarbeit mit
der rechten italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und deren Partei
Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) nicht ausgeschlossen hatten. Rasmus
Andresen, Sprecher der deutschen Grünen im Europäischen Parlament, äußerte sich
deswegen am Freitag zurückhaltend zu einer möglichen Unterstützung. "Es liegt in
den Händen von Ursula von der Leyen, eine pro-europäische und stabile Mehrheit
für ihre Wiederwahl im Parlament zu bilden", sagte er.

Andresens Kollege Michael Bloss erklärte, die Grünen stünden bereit,
Verantwortung für Europa zu übernehmen, da eine Mehrheit mit "Anti-Europäern"
eine Eiszeit für ein starkes Europa bedeuten würde. Von der Leyen müsse sich
aber klarer zum sogenannten Green Deal bekennen, der das Erreichen der
EU-Klimaschutzziele sicherstellen soll.

Rechtspopulisten zetern

Hilfreich könnte für von der Leyen aber nun sein, dass sich Meloni in der
Nacht zum Freitag bei der Abstimmung enthielt und danach wortstark darüber
schimpfte, dass sie bei den Vorab-Verhandlungen über das Personalpaket außen vor
blieb. Kanzler Scholz hingegen machte deutlich, dass er letzteres für richtig
hält. Er sei davon überzeugt, dass es gut sei, wenn Parteien aus
rechtspopulistischen Parteienfamilien nicht Basis der Unterstützung für von der
Leyen, sagte er. Damit schloss er auch den ungarischen Regierungschef Viktor
Orban ein, der beim EU-Gipfel als einziger gegen von der Leyen
stimmt./aha/DP/jha

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