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11.07.2024 21:10:34 - dpa-AFX: ROUNDUP/Scholz und Habeck: US-Aufrüstung in Deutschland nötig

WASHINGTON/MOSKAU/PEKING (dpa-AFX) - Die USA wollen in Deutschland zum
Schutz Europas aufrüsten. Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Vize Robert Habeck
sehen darin eine Notwendigkeit. "Wir wissen, dass es eine unglaubliche
Aufrüstung in Russland gegeben hat, mit Waffen, die europäisches Territorium
bedrohen", sagte Scholz beim Gipfel zum 75-jährigen Bestehen der Nato in
Washington. Habeck sagte, die russische Aufrüstung bedrohe "offensichtlich auch
die Nato-Ostflanke". "Russland ist also kein Friedenspartner im Moment", sagte
er der Zeitung "Neue Westfälische" (Freitagsausgabe).

Russland - und auch China - üben daran heftige Kritik und zeigen dabei
Geschlossenheit. Russlands Außenministerium drohte eine militärische Antwort an.
China wies den Vorwurf der Allianz zurück, den russischen Präsidenten Wladimir
Putin im Angriffskrieg gegen die Ukraine zu unterstützen. Die Erklärung des
Jubiläumsgipfels der Nato zu China sei voll von Kriegsrhetorik, Verleumdung und
Provokationen.

Scharfe Worte fand die Führung in Moskau auch zu den politischen und
militärischen Beschlüssen der Regierungschefs des Bündnisses zur Ukraine. Dem
ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wurde Unterstützung zugesagt, die
eines Tages in einem Nato-Beitritt münden soll. Mit Blick auf China nahmen auch
Vertreter aus Indopazifik-Staaten an den Beratungen teil.

Scholz: Entscheidung der USA passt in unsere Strategie

Scholz sagte, man habe lange beraten, wie man auf Russlands Aufrüstung neben dem nuklearen Schutzschirm der Nato mit konventioneller Abschreckung reagieren
könne. Die Stationierung weitreichender Waffen sei bereits vor einem Jahr in der
ersten Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik festgeschrieben
worden. "Deshalb passt die Entscheidung der Vereinigten Staaten genau in diese
Strategie, die wir öffentlich diskutieren seit langer Zeit."

Die USA wollen erstmals seit dem Kalten Krieg wieder Waffensysteme in
Deutschland stationieren, die bis nach Russland reichen. Das hatten das Weiße
Haus und die Bundesregierung am Mittwoch verkündet.

Moskau ist etwa 1600 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt. Von 2026 an
sollen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von bis zu 2500
Kilometern, Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Überschallwaffen
für einen besseren Schutz der Nato-Verbündeten in Europa sorgen.

Die Entscheidung lässt Erinnerungen an den Kalten Krieg wach werden. Scholz
hatte Anfang der 80er Jahre selbst als junger Sozialdemokrat gegen den
Nato-Doppelbeschluss protestiert, der unter anderem die Stationierung von
Mittelstrecken-Raketen vom Typ Pershing II vorsah, die nach dem Ende des Kalten
Krieges bis 1991 wieder abgezogen wurden.

Habeck: "Aufrüstung ist erst mal nichts, mit dem ich mich leicht tue"

Habeck sagte, Aufrüstung sei erst mal nichts, mit dem er sich leicht tue.
"Aber ich halte die Entscheidung der USA, Langstreckenwaffen bei uns zu
stationieren, für notwendig", sagte er der "Neue Westfälischen".

Er betonte: "Wir müssen die Wehrhaftigkeit steigern, weil wir in einer sehr
bedrohlichen Zeit leben, die anders ist als in den 80er Jahren. Deshalb
verbietet sich Naivität." Bei den Demonstrationen gegen die
Nato-Doppelbeschlüsse 1981 habe Kalter Krieg geherrscht. "Jetzt erleben wir in
der Ukraine einen heißen Krieg, weil dort geschossen und gestorben wird", sagte
der Vizekanzler.

Viel Geld an die Ukraine für Waffen - Weg zum Beitritt unumkehrbar

In der Gipfelerklärung wird der Ukraine versprochen, dass sie auch innerhalb des nächsten Jahres wieder Militärhilfen im Wert von mindestens 40 Milliarden
Euro erhält. Das ist in etwa der Betrag, der auch im vergangenen Jahr
mobilisiert werden konnte. Beim Streitthema Nato-Beitrittsperspektive gibt es
einen Kompromiss. Das Bündnis sichert der Ukraine zu, dass sie auf ihrem Weg in
das Verteidigungsbündnis nicht mehr aufgehalten werden kann.

Moskau: Nato-Pläne "Kettenglied im Eskalationskurs"

Zu der geplanten Stationierung von Waffensysteme in Deutschland fand man in
Moskau deutliche Worte. Die russische Sicherheit werde durch die US-Waffen
beeinträchtigt, sagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow der staatlichen
Nachrichtenagentur Tass zufolge. Es handle sich um "ein Kettenglied im
Eskalationskurs" der Nato und der USA gegenüber Russland. "Wir werden, ohne
Nerven oder Emotionen zu zeigen, eine vor allem militärische Antwort darauf
ausarbeiten."

Russland überarbeitet Atomdoktrin

Die Nato-Beschlüsse zur Ukraine nannte der Kreml eine Bedrohung der eigenen
Sicherheit. Die Entscheidung, die Ukraine früher oder später in die Allianz
aufzunehmen, verdeutliche das Hauptziel des Bündnisses, Russland kleinzuhalten,
sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow und erwähnte einmal mehr die russische
Atomdoktrin. Er bestätigte, dass an Veränderungen gearbeitet werde. Das
bisherige Leitprinzip lautet, dass Russland Atomwaffen nur als Reaktion auf
einen Atomangriff oder einer existenziellen Gefahr für das Land bei einem
konventionellen Angriff einsetzen darf.

China nennt Nato-Kritik völlig unberechtigt

Auch China übt scharfe Kritik an der Erklärung des Nato-Gipfels. Sie
übertreibe hinsichtlich der angespannten Lage im Indopazifik-Raum und sei voll
von Kriegsrhetorik, Verleumdung und Provokationen gegenüber China, sagte
Außenamtssprecher Lin Jian in Peking.

Treffen sich Orban und Trump in Florida?

Für Verärgerung im Bündnis sorgte angebliche Pläne des ungarischen
Ministerpräsidenten Viktor Orban, den Ex-Präsident Donald Trump in Florida nach
dem Gipfel zu besuchen. Eine offizielle Bestätigung entsprechender
Medienberichte stand aus. Darin hieß es, das Treffen werde in Trumps Residenz
Mar-a-Lago stattfinden.

Trump will nach der US-Wahl im November für die Republikaner wieder ins
Weiße Haus einziehen. Der Wahlkampf gegen US-Präsidenten Joe Biden befindet sich
mitten in der heißen Phase.

US-Wahlkampf beim Gipfel: Wie schlägt sich am Ende Joe Biden?

Joe Biden stand beim Nato-Treffen unter ständiger Beobachtung, nachdem er
bei einem TV-Duell gegen Trump Ende Juni Zweifel an seiner geistigen und
körperlichen Fitness gesät hatte. Die ersten beiden Tage kam Biden als Gastgeber
nahezu pannenfrei durch. Die größten Schnitzer leistet sich Biden aber ohnehin
in der Regel nicht, wenn er Reden vom Teleprompter abliest. Schwierig wird es
für den 81-Jährigen, wenn er frei spricht. Daher steht die eigentliche
Bewährungsprobe für den US-Präsidenten auch noch aus: In der Nacht zum Freitag
will er zum Ende des Nato-Gipfels eine Pressekonferenz geben./aha/DP/he

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