09.07.2024 16:28:02 - dpa-AFX: ROUNDUP: Raumfahrt-Fachleute vor Ariane-Start zuversichtlich

KOUROU (dpa-AFX) - Kurz vor dem geplanten Erstflug der neuen europäischen
Trägerrakete Ariane 6 zeigt sich der Chef der europäischen Raumfahrtbehörde Esa
zuversichtlich. "Die Ariane 6 wird Europa ins All bringen", erklärte Josef
Aschbacher am Dienstag im Kurznachrichtendienst X. "Ich empfinde alle möglichen
Gefühle, während wir uns darauf vorbereiten, die europäische Geschichte, die
Zukunft Europas und Generationen von Europäern zu beeinflussen."

Auf ihren Erststart musste die neue europäische Trägerrakete zehn Jahre lang warten. Am Dienstag ab 21.00 Uhr deutscher Zeit soll der Jungfernflug vom
europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana versucht werden.
Damit hatte die Esa den frühesten Starttermin kurzfristig um eine Stunde nach
hinten geschoben. Das Startzeitfenster hatte sie ursprünglich mit 20.00 bis
24.00 Uhr angegeben.

Mit der Ariane 6 sind viele Hoffnungen verbunden: Sie soll Europas Raumfahrt aus der Krise seines Trägerraketensektors befreien. Aktuell hat Europa keine
eigenen Mittel, um Satelliten ins All zu bringen.

Bisschen Regen kann die Rakete nicht stoppen

Das Wetter sah am Starttag vielversprechend aus. Es könne zwar regnen, aber
das mache nichts, erklärte die Esa. Das mobile Arbeitsgerüst, das lange Zeit um
die Ariane 6 herum stand, wurde weggezogen, um die Rakete freizulegen. Das
Gerüstgebäude ist 90 Meter hoch und 8200 Tonnen schwer. Es wurde auf Schienen
rund 140 Meter weit weggerollt.

Der Raumtransportdirektor der Esa Toni Tolker-Nielsen war ziemlich sicher,
dass alles klappt. Er sei zu 96 Prozent zuversichtlich und zu 4 Prozent zutiefst
verängstigt, sagte er. "Wir haben alles getan, was getan werden musste. Jetzt
müssen wir starten."

Hebt sie ab, hat die 56 Meter hohe und 540 Tonnen schwere Rakete einen knapp dreistündigen Flug vor sich. An Bord sind dabei auch technische Passagiere aus
Deutschland: Die Ariane nimmt unter anderem die Raumkapsel Nyx Bikini von The
Exploration Company sowie die Satelliten OOV-Cube von RapidCubes und Curium One
von Planetary Transportation Systems mit ins All.

Eine Rakete ist nur ein Schritt von vielen

Sollte bei dem Jungfernflug alles gut gehen, werde man das Comeback begonnen haben, meinte Tolker-Nielsen. Nötig sei es dann aber, die Produktionskapazitäten
hochzufahren und zu einem stabilen Startrhythmus zu kommen. Auch Aschbacher
erklärte: "Dies ist nur der erste Schritt, wir haben noch viel Arbeit vor uns."

Der Raketenbauer ArianeGroup sieht auch eine Chance, mehr über die Rakete zu lernen. Franck Huiban, Leiter der zivilen Programme bei ArianeGroup, sagte: "Der
Erstflug ist eine einzigartige Möglichkeit zu schauen, was wir mit dieser Rakete
machen können."

Anders als mit einem kommerziellen Kunden könne man nun testen und Dinge
herausfinden, die man am Boden nicht absehen könne. Die Mission sei entsprechend
zusammengestellt worden.

Die Ariane 6: eine moderne Rakete?

Die Ariane 6 ist das Nachfolgemodell der Ariane 5, die von 1996 bis Sommer
2023 im Einsatz war. Sie soll Satelliten für kommerzielle und öffentliche
Auftraggeber ins All befördern und ist deutlich günstiger als ihre Vorgängerin.

Beschlossen wurde die Entwicklung der Rakete bereits vor einem Jahrzehnt.
Esa-Chef Aschbacher ist überzeugt, dass die Rakete dennoch den aktuellen
Herausforderungen entspricht. Die Esa preist die Ariane 6 als modular und
flexibel an. Je nach Mission kann sie mit zwei oder vier Boostern ausgestattet
werden und unterschiedliche Nutzlasten in einem kleineren oder längeren Oberteil
unterbringen.

Deutschland leistet wichtigen Beitrag zur Ariane 6

Auch Deutschland trägt dem Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Walther Pelzer zufolge entscheidend zu
den Neuerungen der Rakete bei. "Bei der Ariane 6 hat Deutschland mit der
wiederzündbaren Oberstufe die wichtigste Innovation verantwortet sowie in
Deutschland gefertigt."

Der Vorteil des bis zu viermal zündbaren Vinci-Triebwerks der Oberstufe ist, dass die Rakete so Satelliten in unterschiedliche Orbits ausliefern und auch
Konstellationen in den Weltraum bringen kann.

Vier deutsche Standorte arbeiten an neuer Rakete

Montiert wird die Oberstufe im Bremer Werk des Raumfahrtkonzerns
ArianeGroup. Die Tanks der Oberstufe und Teile des Triebwerks kommen aus
Augsburg beziehungsweise Ottobrunn. Im baden-württembergischen Lampoldshausen
wurde das Vinci-Treibwerk getestet.

Auch finanziell ist Deutschland bei der Ariane 6 stark engagiert und nach
Frankreich der größte Geldgeber unter den Esa-Ländern. Die Bundesrepublik hat
etwa 20 Prozent der rund vier Milliarden Euro hohen Kosten der Rakete
geschultert. Insgesamt waren gut ein Dutzend Länder am Bau der Rakete beteiligt.

Experte: Ariane 6 nicht auf Höhe der Zeit

Raumfahrtexperte Martin Tajmar von der TU Dresden meint allerdings trotz der Neuerungen im Vergleich zur Vorgängerin der Ariane 6, die Rakete sei keinesfalls
auf der Höhe der Zeit. Bereits 2015 habe das US-Unternehmen SpaceX mit der
Falcon-9-Rakete das Zeitalter der wiederverwendbaren Raumfahrt eingeleitet.

Esa-Raumtransportdirektor Toni Tolker-Nielsen stellt zumindest in Aussicht:
"Die nächste Rakete, die die Ariane 6 ersetzen wird, wird eine wiederverwendbare
Rakete sein." Derzeit plant die Esa, ihre neue Trägerrakete mindestens bis Mitte
der 2030er Jahre zu nutzen.

Europa will aus der Krise kommen

Raumfahrtexperte Tajmar betont aber auch, es gehe im Kern nicht darum,
kommerziell mit den Konkurrenten mithalten zu können. Die zentrale Aufgabe der
Ariane 6 sieht er erst einmal darin, Europa wieder einen eigenen Zugang zum All
zu verschaffen und so die Unabhängigkeit zu sichern.

Die letzte Ariane 5 hob vor fast genau einem Jahr das letzte Mal in den
Weltraum ab. Seitdem hat Europa keine eigenen Mittel mehr, um größere Satelliten
ins All zu bringen und steckt mit seinem Trägerraketensektor in einer tiefen
Krise. Teils wich die Esa auf Falcon-9-Raketen des US-Unternehmens SpaceX aus.

Probleme auch bei Rakete für kleinere Satelliten

Die Krise ist für Europa umso verheerender, als es auch für kleinere
Satelliten aktuell keinen eigenen Zugang zum All gibt. Im Dezember 2022
scheiterte der erste kommerzielle Start der Vega C. Seitdem ist die Rakete am
Boden. Im November soll sie erstmals wieder abheben.

Pelzer zufolge ist der Erststart deshalb sowohl strategisch als auch
industriepolitisch sehr wichtig für Europa und Deutschland. Und während es vom
Raketenbauer ArianeGroup vorsichtig heißt, der Jungfernflug sei im Grunde auch
der ultimative Testflug, ist Tolker-Nielsen von der Esa sich sicher: "Es wurde
alles getan, damit es ein Erfolg wird. Wenn es scheitert, wäre das wirklich
schlimm."/rbo/DP/men
Name WKN Börse Kurs Datum/Zeit Diff. Diff. % Geld Brief Erster Schluss
AIRBUS SE 938914 Xetra 132,080 23.07.24 13:35:58 -0,480 -0,36% 132,020 132,040 131,920 132,560

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