17.06.2024 09:12:09 - dpa-AFX: ROUNDUP: SPD ringt um Konsequenzen aus Europawahl

BERLIN (dpa-AFX) - Die Kanzlerpartei SPD ringt nach dem Debakel bei der
Europawahl um den richtigen Kurs. Thüringens Landesparteichef Georg Maier
kritisierte Versäumnisse bei der Parteiführung und im Kanzleramt. Die SPD müsse
"auch dringend vor der eigenen Haustüre kehren, um bei den Wählern wieder besser
anzukommen", sagte Maier dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Der linke
SPD-Flügel will in den schwierigen Haushaltsverhandlungen der Ampel mit einem
Mitgliederbegehren Druck machen.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil stärkte Kanzler Olaf Scholz
den Rücken: Er sei nach seinem Eindruck "unangefochten als die Nummer eins" der
Partei zu betrachten. "Olaf Scholz hat wirklich das Vertrauen der SPD, und ich
sehe auch überhaupt keine Alternative", sagte Weil am Sonntag in der ARD-Sendung
"Bericht aus Berlin". Nach seinem Empfinden seien sich "alle relevanten Teile in
der SPD" einig, "dass wir mit Olaf Scholz in den nächsten Wahlkampf gehen werden
- aber dann auf einer hoffentlich deutlich besseren Grundlage, als es diesmal
der Fall gewesen ist".

Für die Partei ergebe es keinen Sinn, sich jetzt öffentlich zu zerstreiten,
mahnte Weil. Es sei vielmehr wie nach einem verlorenen Fußballspiel: "Man muss
in der Kabine Klartext miteinander reden, aber dann auch wieder geschlossen aufs
Feld gehen."

Die SPD hatte bei der Europawahl nur 13,9 Prozent der Stimmen bekommen, ihr
schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung. Anschließend äußerten
mehrere SPD-Politiker die Erwartung, dass Scholz in der Ampel-Koalition
offensiver für Kernanliegen der Sozialdemokraten eintritt. Am Sonntag kamen
führende SPD-Politiker zu einer Sondersitzung des Parteipräsidiums zusammen, um
über die Konsequenzen zu beraten. Ergebnisse wurden zunächst nicht bekannt.

SPD-Mann Maier fordert Fokus auf "arbeitende Mitte"

Der Thüringer SPD-Chef Maier forderte, den Fokus seiner Partei wieder
stärker auf "die arbeitende Mitte" zu richten. Diese Menschen seien durch die
Krisen arg gebeutelt und verunsichert und fragten sich, wer ihre Interessen
vertrete. Das gelte besonders für Ostdeutschland. "Man kann niemandem mehr
erklären, warum die soziale Schere zwischen Ost und West 34 Jahre nach der
Einheit immer noch so weit auseinandergeht", sagte Maier. "Die SPD hat es
versäumt, diese soziale Schieflage in Deutschland zum Thema zu machen."

Er appelliere seit geraumer Zeit "eindringlich im Parteivorstand und im
Kanzleramt, endlich aktiv zu werden", sagte Maier. "Doch bisher ohne Erfolg." Er
verstehe nicht, "warum die SPD die Gerechtigkeitsfrage nicht auf die politische
Agenda setzt. Das ist doch unsere DNA."

In Thüringen wird im September ein neuer Landtag gewählt. In Umfragen führte die AfD zuletzt mit großem Abstand vor der CDU, die SPD lag im einstelligen
Bereich.

SPD-Chefin Saskia Esken sagte am Montag im Deutschlandfunk, dass innerhalb
der Partei auch darüber gesprochen werde, wie sich möglicherweise die
Parteikommunikation verändern müsse, "damit wir besser wieder an den Ohren der
Menschen auch sind". Angesprochen auf Maiers Äußerungen zur "arbeitenden Mitte"
sagte sie: "Georg Maier hat darauf in einem Interview hingewiesen, aber
natürlich auch am Montag in der Parteivorstandssitzung haben wir gemeinsam
darüber gesprochen, dass das unsere Zielrichtung sein muss. Das ist sie bisher
gewesen und das muss sie auch weiterhin sein."

Weil: Handlungsmöglichkeiten des Kanzlers werden überschätzt

Weil sagte, was sich ändern müsse, sei die Zusammenarbeit in der
Ampel-Koalition. Es werde überschätzt, "was ein Bundeskanzler in einer solchen
Situation, wo Koalitionspartner (...) nicht immer das notwendige Maß an
Konstruktivität zeigen, eigentlich tatsächlich tun kann". Die drei
Koalitionsparteien stünden jetzt vor einer ganz schwierigen Aufgabe. "Und wenn
sie klug beraten sind, dann verständigen sie sich auf einen gemeinsamen Kurs."

Auch Scholz hatte das rot-grün-gelbe Bündnis am Wochenende in Interviews
ermahnt, sich nach den schlechten Ergebnissen der Ampel-Parteien bei der
Europawahl zusammenzuraufen. Er rief auch zur Kooperationsbereitschaft in den
Verhandlungen über den Haushalt 2025 auf.

Am 3. Juli soll der Haushaltsplan von Bundesfinanzminister Christian Lindner stehen. Der FDP-Chef pocht auf einen strikten Sparkurs, um die Schuldenbremse
einzuhalten. Nach dem Nackenschlag für die Ampel-Parteien bei der Europawahl ist
das Gelingen der Haushaltsverhandlungen eine Bewährungsprobe für die Koalition.
Im Bundestag wird dann üblicherweise im Herbst über den Etat beraten.

Die SPD-Linke macht nun Druck, um Kürzungen in Kernbereichen zu verhindern,
die ihr besonders am Herzen liegen. Die SPD-Gruppe Forum Demokratische Linke
(DL21) beschloss dazu die Einleitung eines parteiinternen Mitgliederbegehrens
für "einen Bundeshaushalt 2025 (...), der eine sozialdemokratische Handschrift
trägt", wie es in einer Mitteilung vom Sonntag heißt.

"Wir wollen fragen, ob die SPD einem Kürzungshaushalt zustimmen soll", sagte der DL-21-Co-Vorsitzende Jan Dieren dem "Spiegel". "In Zeiten, in denen die
Demokratie unter Druck steht, die Preise steigen und viele sich ihr Leben kaum
noch leisten können, ist es falsch zu sparen", mahnte der
SPD-Bundestagsabgeordnete. "Im Gegenteil: Der Staat muss massiv
investieren."/sku/DP/mis

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