21.06.2024 13:41:38 - dpa-AFX: ROUNDUP: Was bringen flexiblere Vorgaben für die Apotheken?

BERLIN (dpa-AFX) - Das Netz der Apotheken in Deutschland wird immer dünner.
Um das Angebot für die Patienten vor allem auf dem Land zu erhalten, sollen
Vorgaben für die Apotheken nach Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl
Lauterbach (SPD) deutlich flexibler werden. "Es besteht Handlungsbedarf, um die
flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln mittel- und langfristig weiterhin
zu sichern", heißt es in einem Entwurf des Ministeriums für ein
Apotheken-Gesetz. Es soll Anforderungen etwa an Öffnungszeiten und die
Anwesenheit von Apothekerinnen und Apothekern lockern und neue digitale Lösungen
ermöglichen. Die Krankenkassen unterstützen die Pläne, die Apothekenbranche
meldete bereits scharfen Widerstand an.

Die Zahl der Apotheken schrumpft schon seit längerem. Ende März waren es
noch 17 429 und damit weitere 142 weniger als Ende vergangenen Jahres. Derzeit
setzten sich Schließungen fort, erläuterte das Ministerium. Gründe seien auch
ein Mangel an Fachkräften und eine Abwanderung von Praxen in ländlichen
Regionen. Ziel sei daher, Apothekenstandorte in schwach versorgten Gebieten zu
stärken und auch Neugründungen zu erleichtern. Ein Überblick über Kernpunkte des
Entwurfs, der voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte in den Bundestag
kommen soll.

Öffnungszeiten

Bisher sind Apotheken zur "ständigen Dienstbereitschaft" mit möglichen
Befreiungen verpflichtet, aus denen sich feste Öffnungszeiten ergeben. Dies soll
flexibler gehandhabt werden können, um sich an Personalressourcen und
Bedürfnisse der Versorgung vor Ort anzupassen, wie es im Entwurf heißt. Statt
der Vorgabe, werktags von 8.00 bis 18.30 Uhr offen zu sein, sollen es künftig
"sieben Stunden während der ortsüblichen Geschäftszeiten" sein - und samstags
statt fest von 8.00 bis 14.00 Uhr künftig eine entsprechende Spanne von vier
Stunden.

Filialen

Möglich sein sollen künftig "Filialverbünde" aus einer Hauptapotheke, bis zu drei Filialen und maximal zwei weiteren "Zweigapotheken". Um die Gründung von
Filialen zu erleichtern, sollen sie in einem größeren Umkreis liegen können als
bisher. In einem Verbund soll eine Apotheke auch zentral Prüfungen und die
Herstellung von Medikamenten übernehmen können. In Orten mit schlechterer
Arzneiversorgung sollen für Zweigapotheken Anforderungen etwa an erforderliche
Räume gelockert werden. Möglich sein soll auch, dass sie nur vier Stunden
täglich geöffnet haben.

Digitalisierung

Ausgebaut werden soll die "Telepharmazie" über interaktive
Videoverbindungen. Dadurch soll eine Apotheke auch öffnen können, wenn die
Apothekerin oder der Apotheker nicht selbst vor Ort ist, sondern in einer
anderen Apotheke des Verbunds - und Beratungen bei Bedarf über die digitale
Verbindung machen kann. Mindestens acht Stunden pro Woche muss die
Apothekenleitung aber persönlich anwesend sein. Ansonsten sollen in diesem
Rahmen auch erfahrene pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten
da sein können.

Vergütung

Vorgesehen sind unter anderem "Honoraranreize" für Standorte in ländlichen
Regionen und eine gerechtere Verteilung der Honorare, wie es im Entwurf heißt.
Dafür soll der Zuschlag pro Arzneimittelpackung, den es zu Notdienstzeiten gibt,
von 21 auf 28 Cent erhöht werden. Geplanter Effekt: Da Apotheken in Regionen mit
wenigen anderen Apotheken öfter Notdienst haben, profitieren sie besonders. So
sollen jährlich 50 Millionen Euro mehr für die Notdienstvergütung verfügbar
sein.

Impfungen

Für Patientinnen und Patienten sollen weitere Impfungen auch in Apotheken zu bekommen sein - neben Corona- und Grippe-Impfungen etwa auch Standardimpfungen
gegen Tetanus, Diphtherie oder Polio.

Reaktionen

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen begrüßte die
Pläne, die den Weg in eine Modernisierung der Strukturen wiesen. "Es nützt den
Menschen auf dem Land nichts, wenn wie bisher die Apothekeninhaber in den
Hauptbahnhöfen und Einkaufsstraßen der Großstädte noch mehr Geld verdienen",
sagte Sprecher Florian Lanz der Deutschen Presse-Agentur. Daher brauche es kluge
Konzepte für eine gerechte Umverteilung zwischen den sehr unterschiedlichen
Apotheken.

Der Kassenverband schlägt einen "Versorgungsbonus" für Apotheken auf dem
Land und am Stadtrand vor, die weniger Medikamente verkaufen als City-Apotheken
im Stadtzentrum." Konkret heißt das: Für die Menge an abgegebenen Medikamenten,
die für einen wirtschaftlichen Apothekenbetrieb notwendig sind, sollte es in
Stadt und Land mehr Geld geben. Wer darüber hinaus noch mehr Medikamente abgibt,
bekommt pro Packung etwas weniger als heute", erläuterte Lanz.

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände warnte dagegen bereits vor einer "zerstörerischen Reform, die die Versorgung durch Apothekerinnen und
Apotheker in der Apotheke vor Ort abschafft und zehntausende Arbeitsplätze
gefährdet". Die Branche fordert seit längerem wegen einer angespannten
Finanzlage vieler Apotheken auch lange ausgebliebene Honorar-Anhebungen.

Das Ministerium machte klar, an den Plänen festhalten zu wollen. Eine
Ausdehnung des Angebots werde nur kommen, wenn man sich ehrlich mache, hieß es
aus dem Ressort. Kleine Apotheken gäben die bisher nötigen Kosten für die
Gründung einer Filiale nicht her./sam/DP/jha

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