13.02.2024 10:08:09 - dpa-AFX: Tschechien beschleunigt Ausbau der Atomkraft

PRAG (dpa-AFX) - Die tschechische Regierung macht beim Ausbau der Atomkraft
kräftig Tempo: Der liberalkonservative Ministerpräsident Petr Fiala will gleich
bis zu vier neue Reaktorblöcke auf einen Schlag in Auftrag geben, wie er zur
Überraschung vieler Beobachter vor kurzem bekannt gab. Die laufende
Ausschreibung, die ursprünglich nur die Fertigstellung eines neuen Reaktors bis
2036 vorsah, wurde nun erweitert.

"Die tschechischen Haushalte, die tschechischen Bürger und die tschechischen Firmen müssen die Gewissheit haben, dass es auch in Zukunft genug Energie geben
wird - und zu akzeptablen Preisen", begründete er sein Vorhaben. "Das ist die
Grundlage unseres Wohlstands." Das Industrieland Tschechien könne zu einem
"Zentrum der Kernenergie" werden. Fiala rechnete mit einem Preisnachlass von bis
zu 25 Prozent je Reaktor bei einer größeren Sammelbestellung.

Der französische Atomkonzern EDF und der südkoreanische
Konkurrent KHNP sind nun aufgerufen, bis Ende April ihre verbindlichen Angebote
vorzulegen. Die Entscheidung könnte dann bereits im Mai fallen. Nicht mehr dabei
ist der US-Konzern Westinghouse, der in Polen den Auftrag für den Bau des ersten
Atomkraftwerks des Nachbarlandes erhalten hatte. "Das Angebot dieser Firma war
nicht verbindlich, sodass es nicht in die Beurteilung einbezogen werden konnte",
sagte Petr Suler vom teilstaatlichen Atombetreiber CEZ der
Deutschen Presse-Agentur.

Wie viele Reaktoren es genau werden, ist noch unklar. Der Staat als Investor könne alle Optionen nutzen, müsse es aber nicht, erläuterte Suler. Aktuell gehe
man davon aus, dass zunächst über den Ausbau des AKW-Standorts Dukovany um zwei
Blöcke und erst danach über zwei weitere Blöcke in Temelin entschieden werde.
Suler verwies darauf, dass die EU die Atomkraft unter bestimmten Bedingungen als
klimafreundlich eingestuft habe. Dies wurde über die sogenannte
Taxonomie-Verordnung geregelt.

In den ausländischen Nachbarregionen sorgen die Prager Pläne für
Verunsicherung. Das AKW Temelin mit derzeit zwei Druckwasserreaktoren vom Typ
WWER 1000/320 liegt weniger als 60 Kilometer von den Grenzen zu Bayern und
Niederösterreich entfernt. Von Dukovany, das über vier Altmeiler der
sowjetischen Bauart WWER-440/213 verfügt, sind es nach Wien nur knapp 100
Kilometer.

Urban Mangold von der bayerischen "Plattform gegen Temelin" teilte mit, die
Pläne der tschechischen Regierung gefährdeten die Sicherheit der bayerischen
Bevölkerung. Atomkraft sei teuer, gefährlich und mache abhängig von
Uranlieferungen. Im schlimmsten Fall könnten Atomreaktoren sogar zum
militärischen Angriffsziel werden. Für Überraschung sorgte hingegen der
CSU-Politiker Erwin Huber, der die tschechischen Ausbaupläne als "sensationell"
begrüßte. Bayern solle sich Stromkontingente sichern, sagte er der Mediengruppe
Bayern.

Erst vor wenigen Tagen fachte ein Zwischenfall die Sorgen vieler
Grenzbewohner um die Sicherheit neu an: In Temelin kam es zu einer unerwarteten
Störung, die zur unplanmäßigen Abschaltung des zweiten Reaktorblocks führte. Ein
Kühler des Generators außerhalb des nuklearen Bereichs des Kraftwerks musste
nach Angaben des Betreibers CEZ ausgetauscht werden.

Die neueste Energiestrategie der tschechischen Regierung sieht vor, den
Anteil der Kernenergie am Strommix von einem Drittel bis 2040 auf mehr als die
Hälfte zu erhöhen. Die Kohleverstromung soll dafür bis 2033 enden. Der
Pro-Atomkurs des Kabinetts trifft in der Bevölkerung und in den Medien
weitgehend auf Zustimmung.

Zu den wenigen Kritikern zählt Pavel Vlcek von der Bürgerinitiative für
Umweltschutz aus dem südböhmischen Budweis (Ceske Budejovice). "Tschechiens
Politiker wollen die neuen Reaktorblöcke wortwörtlich um jeden Preis, geradezu
hysterisch", kritisiert er. Vlcek sieht das als Folge der langfristigen
Lobbyarbeit der Atomindustrie, die sich eine in Europa einmalige Stellung
gesichert habe.

Zum größten Stolperstein könnte die Finanzierung werden. Finanzminister
Zbynek Stanjura musste im Fernsehsender CT einräumen, dass es sich um ein
"hochriskantes Projekt" handele. Die Schätzungen verschiedener Analysten zu den
Gesamtkosten gehen weit auseinander und reichen von mehr als 30 Milliarden bis
hin zu fast 80 Milliarden Euro für vier Reaktorblöcke. Kritiker warnen, dass
sich das nicht unbedingt rechnen muss - je nachdem, wie sich die Preise auf den
Strommärkten in der Zukunft entwickeln.

Bereits im Vorfeld entstehen hohe Kosten: Gerade erst hat die Regierung in
Prag beschlossen, dass in den nächsten zehn Jahren mehr als 500 Millionen Euro
in die Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur rund um den AKW-Standort Dukovany in
Südmähren fließen - damit Straßen und Brücken später dem enormen
Baustellenverkehr gewachsen sind./hei/DP/jha
Name WKN Börse Kurs Datum/Zeit Diff. Diff. % Geld Brief Erster Schluss
CEZ AS INH. KC 100 887832 Frankfurt 35,100 05.07.24 08:02:38 +0,440 +1,27% 0,000 0,000 35,100 35,100

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH