12.07.2024 12:57:20 - MARKT-AUSBLICK/Viel zu viel Zinsfantasie - EZB im Fokus

Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Börsianern könnte eine nervöse Handelswoche bevorstehen. Dominiert wird das Geschehen in den USA und Europa weiter vom Hin und Her zwischen Zinssenkungserwartungen und Realitätsabgleich mit relevanten Daten und Aussagen und Aktionen der Notenbanker. Besonders im Fokus steht zunächst die Sitzung der EZB am Donnerstag.

Derweil hat sich an den Märkten strukturell etwas geändert. Der Technologie-Hype an der Wall Street scheint zuende zu gehen, wie plötzliche ausgeprägte Gewinnmitnahmen bei Aktien wie Nvidia & Co am Donnerstag zeigten. Umgeschichtet wurde dafür in lange vernachlässigte Nebenwerte. Ob dies möglicherweise nur mit der gerade beginnenden US-Berichtssaison zusammenhängt, bleibt abzuwarten. Denn ein beträchtlicher Teil der Kursentwicklung gerade bei den Technologieaktien hängt an deren Bewertungen, die wiederum an den Zinsen hängen. Je geringer, desto besser.

Einige Marktbeobachter machen sich daher Sorgen, dass die Gewinnmitnahmen just an dem Tag auftraten, an dem besser als erwartete US-Verbraucherpreise veröffentlicht wurden. Möglicherweise habe man hier eine Gelegenheit beim Schopf ergriffen, die sich nicht wiederholen werde, befürchtet ein Stratege. Schließlich fänden sich Anzeichen einer hartnäckig höheren Inflation an allen Fronten. Andere Strategen wie die von Swissquote sehen das entspannt. Dort heißt es, Technologiewerte seien wegen der KI-Investitionen momentan "rate proof", hingen also nicht an den Zinsen.

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Eine Zinssenkung löst noch keine Welle aus
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Aktuell setzt der US-Markt auf eine Zinssenkung im September. Die Fed-Fund-Futures preisen dies zu 95 Prozent ein, rund 20 Prozentpunkte höher als noch vor den Preisdaten vom Donnerstag. Ob damit aber gleich die erhoffte Welle von weiteren folgenden Senkungen losgetreten wird, ist offen. Es könne noch sechs bis acht Monate dauern, bis das 2-Prozent-Ziel der US-Notenbank erreicht werde, meint Skyler Weinand von Regan Capital. Die Zinsen dürften daher langsamer fallen als der Markt erwarte. Zur Erinnerung: Die US-Verbraucherpreise lagen im Juni 3,0 Prozent über dem Vorjahresniveau. Das Ziel der Fed liegt aber bei 2 Prozent.

Der Optimismus der US-Anleger dürfte sich daher (auch) aus einer anderen Quelle speisen als der Inflation, nämlich dem Arbeitsmarkt. Gerade erst wies US-Notenbankchef Powell in seiner halbjährlichen Anhörung vor dem US-Senat das erste Mal auf eine nachlassende Dynamik am US-Arbeitsmarkt hin. Weil die Fed -anders als Europas EZB - zuständig ist für Geldstabilität und Beschäftigung, könnte also eher hier das Einfallstor für Zinssenkungen liegen.

Dies würde sich auch mit den jüngsten Einkaufsmanagerindizes decken. Die zeigten schon wieder Zeichen für eine globale Abkühlung. Entsprechend kühlte sich im Juni die Inflation bei den Dienstleistern ab, während die Güterpreise noch munter steigen.

Der EZB dürften diese Rahmenbedingungen wohlbekannt sein. Dem Zinsschritt nach unten bei der Juni-Sitzung hatten einige Ratsmitglieder wohl nur deshalb zugestimmt, weil sich die EZB vorher hierauf faktisch festgelegt hatte, meint Marco Wagner von der Commerzbank. Vielversprechenden Inflationszahlen zu Beginn des Jahres seien kurz vor der Juni-Sitzung wieder weniger günstig aussehende Mai-Daten gefolgt. Auch hierzulande verharre die Kerninflation bei 2,9 Prozent - und der Einfluss der kräftigen Lohnerhöhungen steht noch aus, betont Wagner.

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Stimmung gefährlich - Nicht dem Zinssenkungs-Hype folgen
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Für Anleger sollte die Schlussfolgerung lauten, nicht auf das Wunschdenken beim Thema Zinssenkungen hereinzufallen. Selbst Fed-Offizielle sind dagegen offenbar nicht gefeit. Chicago-Fed-Präsident Goolsbee jubelte nach den Preisdaten über "exzellente" Daten und dass "so der Pfad zu den 2 Prozent aussieht". Nur, wieviel Zeit man auf diesem Pfad verbringen wird, ließ er offen.

Sollten Kursgewinne bei Aktien nur mit der Erwartung von "bald" sinkenden Zinsen begründet werden, sollten Anleger die Finger weglassen. Verdächtig ist auch das aktuelle Sentiment in den USA. Nach Umfragen des Anlegerverbandes AAII ist dort der Anteil optimistischer Anleger innerhalb einer Woche auf 49,2 Prozent gesprungen. Normal sind im historischen Schnitt gerade einmal knapp 38 Prozent.

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Berichtsaison wird Nagelprobe für Qualität der Analysten
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Entscheidender als das Zinsthema ist die kommende Berichtssaison. Sie wird zeigen, ob die Unternehmen in der Lage sind, ihre Margenziele zu erreichen. Zweifel sind angebracht. In vielen Branchen sind mittlerweile Punkte erreicht, an denen die erhöhten Preise für fallende Absätze sorgen. Beim Schokoladenhersteller Barry Callebaut wurde dies in dieser Woche mit fast 10 Prozent Kursverlust bestraft. Und ein gutes Umsatzwachstum, aber knapp unter der Erwartung der Experten, führte bei der Aktie der Online-Apotheke Docmorris zu einem 17-Prozent-Kurseinbruch.

Beides sind Indikatoren, dass die Erwartungen von Analysten nicht nur zu hoch, sondern realitätsfremd bis geradewegs falsch waren. Die Gefahr von Enttäuschungen, vor allem bei den Unternehmensausblicken, ist also hoch.

Europäer sollten daneben weiter auf Frankreich blicken. Hier dürften Signale für eine Regierungsbildung der Mitte sehr positiv ankommen. Für US- und andere Auslandsanleger wird damit auch das Risiko der gesamten Eurozone geringer gesehen und könnte die Kurse in allen Euroländern treiben.

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July 12, 2024 06:57 ET (10:57 GMT)

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