14.05.2024 16:20:03 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: '4 Tage des Verrats' - Haft für AfD-nahen Offizier gefordert

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DÜSSELDORF (dpa-AFX) - Die Bundesanwaltschaft hat dreieinhalb Jahre Haft für einen Bundeswehroffizier gefordert, der gestanden hat, sich Russland als Spion
angedient zu haben. Etwa im gleichen Zeitraum war der 54-Jährige in die AfD
eingetreten. "Die Anklage hat sich in vollem Umfang bestätigt", sagte ein
Vertreter der Bundesanwaltschaft am Dienstag am Düsseldorfer Oberlandesgericht.
Der Hauptmann habe sich Russland "fast penetrant angedient", um den russischen
Streitkräften einen Vorteil zu verschaffen. Dabei habe er militärisch sensible
Informationen verraten.

Erst habe er einen Umschlag mit Dienstgeheimnissen in den Briefkasten des
russischen Konsulats in Bonn geworfen. Als dann keine Reaktion erfolgte, habe er
sich als Michael Müller per E-Mail an das Konsulat und dann an die russische
Botschaft gewandt.

Sein Verrat sei geeignet gewesen, die deutsche Unterstützung für die Ukraine zu konterkarieren, denn die Systeme, die er betreut habe, seien auch an die
Ukraine geliefert worden. "Darum ging es ihm auch", so die Bundesanwaltschaft.
Dabei habe der Soldat gewusst, dass der Verrat an einen militärischen Aggressor
Menschenleben gefährde.

Bei seinem weitgehenden Geständnis habe der Offizier lediglich die Übergabe
einer CD bestritten, auf die er zuvor vertrauliche Dateien gebrannt habe. Er sei
aber dabei fotografiert worden, wie er den Umschlag in den Briefkasten des
Konsulats geworfen habe und dieser Umschlag sei gut gefüllt gewesen - nicht nur
mit ein paar Seiten Papier, wie der Angeklagte behauptet habe.

Zudem habe er in seiner späteren E-Mail die Werthaltigkeit des von ihm
gelieferten Materials betont. "Die übermittelten Unterlagen dienten zum
Anfüttern. Sie sollten Appetit auf mehr machen", so der Vertreter der
Bundesanwaltschaft. Der Hauptmann habe sich eines besonders schweren Falls der
Agententätigkeit schuldig gemacht. "Das alles für einen Staat, der sich als
rücksichtsloser Aggressor erwiesen hat."

Von einer Affekttat könne keine Rede sein. Der Angeklagte könne sich auch
nicht auf sein Burnout-Syndrom berufen. Er habe über mehrere Wochen ein äußerst
planvolles Verhalten an den Tag gelegt. Seine Versuche, Kontakt mit dem
russischen Geheimdienst aufzunehmen, hätten "trotz aller Penetranz" nicht
gefruchtet.

"Er wartete sehnsüchtig darauf, angesprochen zu werden und liefern zu
können." Seine Festnahme habe Schlimmeres verhindert, "denn eigentlich hatte er
Größeres vor". "Es sollte nur ein Appetithappen für das sein, was kommen
sollte." Das habe er selbst mit einem Satz der Polizei nach seiner Festnahme
verraten: "Was da noch alles hätte passieren können." Hätte der Hauptmann
Staatsgeheimnisse verraten, würde ihm jetzt sogar lebenslange Haft drohen. So
liege der Strafrahmen zwischen einem und zehn Jahren.

Verteidiger Marvin Schroth stellte keinen konkreten Strafantrag. Sein
Mandant habe in vier Tagen alles in Schutt und Asche gelegt, was er zuvor in
Jahren als pflichtbewusster Berufssoldat aufgebaut habe. "Vier Tage des Verrats,
an denen er rote Linien überschritten hat. Vier Tage des völligen Versagens."

"Was um Himmels Willen hat ihn dazu veranlasst? Wo zum Teufel ist Herr H.
falsch abgebogen?", fragte der Anwalt. Er sei vier Jahre lang permanent
überarbeitet gewesen und habe sich dennoch nicht behandeln lassen.
Gesundheitlich bereits angeschlagen habe er sich wegen Schlafstörungen in einer
Abwärtsspirale befunden.

In einer fordernden beruflichen Zeit habe sich sein Medienkonsum allmählich
auf Telegram und Tiktok verlagert. Dort sei er Fake-News und aus dem
Zusammenhang gerissenen Zitaten aufgesessen. So habe Vize-Kanzler Robert Habeck
(Grüne) einen Tag vor dem Überfall auf die Ukraine davor gewarnt, dass sehr
viele Menschen sterben werden. Bei dem Angeklagten sei aber genau das Gegenteil
von dem angekommen, was Habeck gesagt habe. Der Realität sei er zeitweise
deutlich entrückt gewesen. Die Strafforderung von dreieinhalb Jahren halte er
für deutlich überzogen, sagte der Verteidiger.

"Dann hat er eine einer fixen Idee freien Lauf gegeben und sein bisheriges
Leben aus den Angeln gehoben." Sein Eingeständnis seiner eigenen Überforderung
sei zu spät gekommen. "Er hat sich schließlich Hilfe gesucht, aber drei Wochen
zu spät." Der Hauptmann hatte behauptet, die Angst vor einer nuklearen
Eskalation des Ukraine-Kriegs habe ihn getrieben.

Das Verhalten des Hauptmanns sei mehr als naiv gewesen. So habe er sich beim Einwurf der Unterlagen in den Briefkasten des Konsulats nicht einmal verkleidet.
Die Strafforderung von dreieinhalb Jahren der Bundesanwaltschaft hatte er für
deutlich überzogen. Am Rande der Verhandlung sagte der Verteidiger auf
dpa-Anfrage, sein Mandant sei inzwischen aus der AfD ausgetreten.

Der Angeklagte sagte in seinem Schlusswort, das letzte Jahr sei für ihn ein
Albtraum gewesen, den er gerne löschen würde. "Es ist der größte Bockmist, den
ich in meinem Leben gebaut habe." Was der Satz "Angst essen Seele auf" bedeutet,
habe er am eigenen Leib erfahren müssen. "Ich hätte viel früher zum Arzt
müssen." Eine Depression durch chronische Überarbeitung habe sein rationales
Denken beeinträchtigt.

Beamte des Bundeskriminalamtes hatten den Hauptmann am 9. August in Koblenz
festgenommen. Seitdem ist er in Untersuchungshaft. Das Gericht will das Urteil
am 27. Mai verkünden./fc/DP/men

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