03.07.2024 16:14:02 - dpa-AFX: ROUNDUP: Betrug in China: Lemke verkündet Stopp von Klimaprojekten

BERLIN (dpa-AFX) - Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat im Zusammenhang
mit der Affäre um Betrug bei Klimaschutzprojekten in China einen sofortigen
Stopp der betroffenen Aktivitäten verkündet. Es sei möglich, dass es sich hier
um einen Fall von "schwerer Umweltkriminalität" handele, sagte Lemke im
Bundestag. "Ich nehme diese Vorwürfe sehr ernst. Wir haben es hier mutmaßlich
mit einem Betrugsversuch zu tun, mit einem Betrugsgeflecht." Das System sei zum
1. Juli gestoppt worden. Seitdem sei es für die deutschen Mineralölkonzerne
nicht mehr möglich, neue Projekte im mutmaßlichen Betrugssystem zu beantragen.

Lemke sieht "erschüttertes Vertrauen"

Hintergrund ist, dass sich deutsche Konzerne möglicherweise bislang mehrfach einen Klimaschutzbeitrag anrechnen ließen, den es nie gegeben hat - weil einige
Projekte in China wohl nicht existiert haben. "Es ist klar, dass Vertrauen
erschüttert wurde, dass jetzt diese Vorwürfe deshalb konsequent aufgeklärt
werden müssen", betonte Lemke.

Das Umweltbundesamt gehe allen Hinweisen auf Betrugsverdacht nach,
versicherte sie. "Hier wird konsequente Aufklärung betrieben." Es sei ein Fehler
der Vorgängerregierung gewesen, dieses betrugsanfällige System überhaupt
einzuführen, sagte Lemke im Umweltausschuss des Bundestags. Dort musste die
Ministerin am Mittag zu den dubiosen Vorgängen Rede und Antwort stehen. Scharfe
Kritik am Umgang mit den mutmaßlichen Betrugsfällen kam von der Union.

Ermöglicht wurden diese durch einen Mechanismus, der es Mineralöl-Konzernen
in Deutschland erlaubt, mithilfe von Klimaschutzprojekten in China ihre
gesetzlich vorgegebenen Klimaziele zu erreichen. In dem System können Konzerne
ihre Treibhausgasquoten verbessern, wenn innerhalb der Lieferkette
CO2-Emissionen eingespart werden - auch im Ausland.

Sie können also Projekte, bei denen im Öl-Sektor Emissionen reduziert
werden, finanzieren, und bekommen sie bei Anerkennung entsprechender Zertifikate
für ihre Klimabilanz in Deutschland gutgeschrieben. Diese "Upstream Emission
Reduction"-Projekte (UER) werden dann auf die Treibhausgasminderungsquote im
Verkehr angerechnet. Genehmigt werden die Projekte, für die alle Neuanträge nun
gestoppt worden sind, vom Umweltbundesamt, einer dem Umweltministerium
untergeordneten Behörde.

40 von 69 Projekten unter Betrugsverdacht

Lemke erklärte im Umweltausschuss, dass von insgesamt 69 Projekten in China
derzeit 40 wegen Verdachts auf Betrug besonders im Fokus stünden. Es sei
außerdem Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Berlin gestellt worden. Zwei der
Projekte würden "wegen Verstoßes gegen die Vorgaben" jetzt rückabgewickelt,
sagte sie weiter. Insgesamt überprüfe das Umweltbundesamt derzeit alle Projekte
in China sowie zehn weitere in anderen Ländern. Nach Angaben von Ingrid Hanhoff,
Abteilungsleiterin im Umweltministerium, handelt es sich dabei unter anderem um
Projekte in Nicaragua, Usbekistan und Aserbaidschan. Hanhoff betonte auf
Nachfrage vonseiten der AfD im Ausschuss, dass bei all den Vorgängen deutsche
Autofahrerinnen und Autofahrer nicht zu Schaden gekommen seien. Der Umwelt- und
Klimaschutz habe aber sehr wohl Schaden davon getragen.

Scharfe Kritik aus der Union

Die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Anja Weisgerber, sprach
von einem "Kontrollversagen". für das Lemke verantwortlich sei. "Die Ministerin
trägt dafür die politische Verantwortung und kommt zunehmend unter Druck", sagte
sie nach der Ausschusssitzung. Lemke habe viele Fragen offen gelassen. "Die
Ministerin muss sich die Frage gefallen lassen, wie so eine große Anzahl
offensichtlicher Fehler jahrelang unbemerkt bleiben konnten." Außerdem sei es
unverständlich, weshalb die Vorgänge erst mit Wirkung 1. Juli gestoppt worden
seien.

Lemke wiederum sieht die Verantwortung bei der Vorgängerregierung aus Union
und SPD. Zum Zeitplan der Aufarbeitung erklärte Lemke, dass das UBA ihrem
Ministerium erst Ende August des vergangenen Jahres einen ersten Fall gemeldet
hätte. Dieser sei aber "diffus" gewesen. Erst gegen Jahresende hätten sich die
Hinweise auf möglichen Betrug verdichtet, erklärte die Ministerin. Lemke räumte
aber ein, dass die Kontrolle der Aktivitäten nicht an jeder Stelle funktioniert
habe.

Diese Schwachstelle betonte auch UBA-Chef Dirk Messner kürzlich gegenüber
der "Welt am Sonntag". Er erklärte, dass die China-Projekte vor Ort nicht von
seinem Haus, sondern durch Zertifizierungsunternehmen überprüft würden. "Der
Überprüfungsmechanismus basiert auf dem Vertrauen in die Verifizierer und
Validierer", sagte er. Das UBA komme hier "an die Grenzen der
Nachweisbarkeit."/faa/DP/jha

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