03.07.2024 15:36:32 - dpa-AFX: EM 2024/ROUNDUP/Kroos will den Renten-Aufschub: Spanien nicht das Ende

HERZOGENAURACH (dpa-AFX) - Toni Kroos hatte eine Bitte. Und die war
gleichbedeutend mit einer Kampfansage an den ihm bestens bekannten Rivalen
Spanien: Jetzt bloß noch keine Fußball-Nachrufe verfassen. Das EM-Viertelfinale
soll und wird nicht das persönliche Finale seiner großen Karriere sein. Das
machte Kroos am Mittwoch einfach mal deutlich. "Ich gehe nicht davon aus, dass
es mein letztes Spiel ist", sagte der 34-Jährige im Teamquartier der
Nationalmannschaft in Herzogenaurach.

"Wir haben uns zum Ziel gesetzt, das Turnier zu gewinnen", sagte Kroos.
Zurückgekommen sei er schließlich, um dieses letzte Ziel als Spieler zu
erreichen. Wie er da saß auf dem Pressepodium, selbstverständlich und cool, so
wie er auf dem Rasen spielt. Ein deutscher Fußball-Weltstar.

Da konnte tatsächlich der Eindruck aufkommen, dass Kroos es nur für
folgerichtig hält, mit Deutschland am Freitag (18.00 Uhr/ARD/Magenta TV) in
Stuttgart den nächsten Schritt zum EM-Triumph zu machen. Das große Spanien -
seit 36 Jahren von Deutschland in keinem Pflichtspiel mehr besiegt - hin oder
her.

Spanische Provokation läuft ins Leere

"Ich glaube, dass wir gute Chancen haben. Die Spanier spielen einen guten
Ball, wir aber auch, das muss man uns lassen", sagte Kroos. Kleine Spitzen wie
von seinem Ex-Kollegen Joselu von Real Madrid, der ihn ganz sicher in
Fußball-Rente schicken will, die nimmt Kroos mit diesem sanften Lächeln um seine
Mundwinkel zur Kenntnis. Es demonstriert: Ach, wirklich? Soll er es doch mal
versuchen.

"Es wird wenig überraschen, wenn ich sage, dass wir da recht viel dagegen
haben", sagte Kroos zur durchschaubaren Verbaloffensive aus dem spanischen
Teamquartier. Für dieses Selbstvertrauen, das immer schmal an Rande der Arroganz
entlangschrammt, hat ihn Julian Nagelsmann zurückgeholt in die
Nationalmannschaft.

Ein weiteres Beispiel: Es zieht sich durch die Vita von Kroos, dass man ihn
in Spanien immer besser verstand, mehr wertschätzte, sogar liebte, anders als in
Deutschland. "Die einen sind schneller, die anderen brauchen ein bisschen länger
- aber am Ende verstehen es alle", sagte Kroos mit großer Selbstgewissheit zu
diesem Fakt und sorgte für reichlich Lacher.

Als speziellen Ratgeber und Spanien-Experten für den Bundestrainer sieht
sich der Ruhepol und Stabilisator des deutschen Spiels aber gar nicht. Die
gegnerischen Spieler kenne doch eh jeder, aus Champions League, Vereins-Fußball
und den bisherigen EM-Partien.

Erfolg begründet Erfolg

Kroos hat eine andere Erfolgsformel ausgemacht, die die DFB-Elf nun im
EM-Flow weiter bis zum Finale am 14. Juli nach Berlin tragen soll. Acht Spiele,
keine Niederlage - seitdem er zurück ist. Erfolg begründet sich durch Erfolg.
Das klingt schon sehr nach Real Madrid. "Ich sehe uns vorbereitet, weil wir
einen anderen Glauben haben", sagte er. Aus schwierigen Situationen sei man
herausgekommen. Da könne er den Kollegen viel über seine Karriere erzählen. "Man
muss es fühlen und erleben", sagte Kroos.

Eines ist der deutschen Nummer 8 vor ihrem 114. Länderspiel klar. Gegen
Spanien wird das Spiel im Zentrum entschieden, in seinem Wirkungskreis. Spaniens
Strippenzieher Rodri sieht er dabei als unterschiedlichen Gegenpart. Dass der
Gegner gezielt versuchen wird, seine eigenen Wirkungskreise zu brechen, wäre für
Kroos "keine Riesenüberraschung". Das Schöne an der Konstellation sei aber, dass
Spanien versuchen wird, in erste Linie über die "eigenen Feinheiten ins Spiel"
zu kommen.

Staunen über Wunderknaben

Feinheiten, das ist die Kategorie, in der Kroos Fußball empfindet.
Entsprechend angetan ist er vom 16 Jahre alten spanischen Dribbelkünstler Lamine
Yamal. Auch wenn der ihm schmerzlich vor Augen führt, dass er das
Fußball-Rentenalter doch erreicht hat. "Wenn Sie das so sagen, fühle ich mich
nicht jünger", reagierte Kroos auf einen Hinweis, dass er die ersten Schritte im
Profi-Fußball machte, als Yamal gerade geboren war. Als Kroos im März 2010 in
der Nationalmannschaft gemeinsam mit Thomas Müller gegen Argentinien debütierte,
war der spanische Wunderknabe noch keine drei Jahre alt.

"Es ist schon ein Wahnsinnsalter", sagte Kroos. Aber Bangemachen ist nie
seine Kategorie. Und Erfahrung ist auch ein Gut. "Er ist ein Spieler, der noch
nicht so viele Viertelfinals gespielt hat. Wir wollen ein anderer Gegner sein
als die vorherigen für Spanien. Wir wollen ihn gut beackern, dass er nicht das
Spiel machen kann wie bisher", kündigte Kroos an.

Und wenn das alles nicht klappt? Wenn der EM-Traum am Freitagabend vorbei
ist? Natürlich habe er sich mit diesem Szenario beschäftigt. "Einen EM-Titel
kann man nicht einplanen", sagte Kroos. Das Gleiche wie in Madrid mit
Meistertitel und Champions-League-Triumph zum Abschluss versuche er auch für
Deutschland. "Ohne, dass ich am Boden zerstört wäre, wenn es nicht passiert",
machte er klar.

Hobbysuche steht an

Kroos, auch das ist ein Wesenszug, ist irgendwie immer auf alles
vorbereitet. Die typische Rentnerfrage, was nach dem Tag X komme, wenn er dann
nicht mehr arbeiten müsse, die kontert er flott. "Ich habe nie gearbeitet."
Wieder so ein Spruch mit leichtem Arroganz-Potenzial. Doch es stimmt halt auch.
Nie wieder werde er etwas so gut können wie Fußballspielen, erzählte der
Greifswalder von seinen Gedanken über die Zeit nach dem EM-Sommer. Ganz egal,
welches Hobby er sich suche.

Natürlich stehe dann die Familie im Mittelpunkt, da ist sich Kroos sicher.
Frisuren-Debatten könne es geben, zum Beispiel, wenn Frau Kroos nicht die
Meinung von Mann und Söhnen zum richtigen Styling teilt. Das wiederum ist dann
ein Thema für einen Karriere-Nachruf nach dem Finale in Berlin und nicht
relevant für das Spiel gegen Spanien./aer/DP/jha

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