03.07.2024 12:08:42 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Wirecard: Dritter Angeklagter will Schweigen brechen

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MÜNCHEN (dpa-AFX) - Im Münchner Wirecard-Prozess wird nach über eineinhalb
Jahren ein Meilenstein erreicht: Der seit Prozessbeginn im Dezember 2022
schweigsame dritte Angeklagte E. will am 17. Juli erstmals zu den
Anklagevorwürfen aussagen. Diesen Termin nannte der Vorsitzende Richter Markus
Födisch zu Beginn des 134. Prozesstags.

Der ehemalige Chefbuchhalter des 2020 kollabierten Dax
-Konzerns hatte zum Prozessauftakt seine Personalien bestätigt,
ansonsten aber im bisherigen Verlauf des Mammutverfahrens kein Wort zur Sache
gesagt. Die IV. Strafkammer des Münchner Landgerichts unter Födischs Leitung hat
E. im Gegenzug für ein Geständnis eine Haftstrafe zwischen sechs und acht Jahren
in Aussicht gestellt. Nun will E. sehr ausführlich aussagen: Für seine
Einvernahme plant die Kammer zwei Tage ein.

E. will "seine Sicht der Dinge" schildern

Inwieweit der frühere Chefbuchhalter in seiner Stellungnahme Anklagevorwürfe einräumen oder zurückweisen will, ist noch nicht klar. "Unser Mandant hat sich
dafür entschieden, zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen", sagte
Verteidigerin Sabine Stetter. Er werde "seine Sicht der Dinge" schildern, und
sei bereit, Fragen des Gerichts und der übrigen Verfahrensbeteiligten zu
beantworten.

Hauptanklagepunkt gegen E., den früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und den bis 2020 in Dubai für Wirecard tätigen Manager Oliver Bellenhaus ist
gewerbsmäßiger Bandenbetrug: Die drei sollen gemeinsam mit etlichen Komplizen
Milliardenumsätze erfunden haben, um ihr eigentlich defizitäres Unternehmen über
Wasser zu halten.

Den Betrugsschaden beziffert die Münchner Staatsanwaltschaft in ihrer
Anklage auf gut drei Milliarden Euro. Bisher steht Aussage gegen Aussage: Der
seit vier Jahren in Untersuchungshaft sitzende Braun als Hauptangeklagter weist
eisern sämtliche Vorwürfe zurück. Bellenhaus hingegen hat den Großteil der
Anklage eingeräumt und Braun schwer beschuldigt. Der österreichische Manager
wiederum hat seinerseits Bellenhaus über seine Verteidiger mehrfach der Lüge
bezichtigt.

Aussage könnte Folgen für Brauns Schicksal haben

Auch Braun bestreitet nicht, dass bei Wirecard-Konzern in ganz großem Stil
betrogen wurde, die wahren Täter sollen jedoch andere gewesen sein. Braun
zufolge sollen der seit Sommer 2020 untergetauchte frühere Vertriebsvorstand Jan
Marsalek und Bellenhaus Milliardenerlöse des Konzerns in die eigenen Taschen
verschoben haben, ohne dass der Vorstandschef davon etwas ahnte oder gar daran
beteiligt war.

Somit kommt E.s Aussage große Bedeutung auch für das Schicksal Brauns zu:
Räumt der Buchhalter in größerem Umfang Anklagevorwürfe ein, würde das die Lage
des 54-Jährigen im Prozess verschlechtern. Sollte E. jedoch wesentliche Teile
der Anklage zurückweisen, könnte das Brauns Argumentation stützen.

Vorsitzender Richter erwartet weitgehendes Geständnis von E.

Der bisherige Prozessverlauf deutet nicht darauf, dass die Kammer Brauns
Argumentation glaubt: Er sitzt als einziger Angeklagter nach wie vor in
Untersuchungshaft, während der als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft auftretende
Bellenhaus im Februar unter Auflagen auf freien Fuß kam. E. war schon Monate vor
Prozessbeginn aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Der Vorsitzende Födisch hat in den vergangenen Wochen jedenfalls mehrfach
deutlich gemacht, dass er ein weitgehendes Geständnis E.s erwartet. Richter, E.s
Verteidiger und Staatsanwaltschaft hatten in den vergangenen Wochen bereits zwei
Rechtsgespräche über einen möglichen Deal geführt, Ergebnis war der von Födisch
genannte Strafrahmen von sechs bis acht Jahren Haft. Verteidigerin Stetter
nannte ein weiteres Rechtsgespräch zu einem möglichen Deal "denkbar"./cho/DP/nas

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