17.06.2024 16:42:02 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Stark-Watzinger lehnt Rücktritt in Fördergeld-Affäre ab

BERLIN (dpa-AFX) - Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat
Forderungen nach einem Rücktritt im Zusammenhang mit einer Fördergeld-Affäre
zurückgewiesen. "Dazu sehe ich keine Veranlassung", sagte die FDP-Politikerin am
Montag vor Journalisten in Berlin. "Ich habe den betreffenden Auftrag,
förderrechtliche Konsequenzen prüfen zu lassen, nicht erteilt und auch nicht
gewollt", sagte die Ministerin. Zu weiteren Hintergründen äußerte sie sich trotz
mehrfacher kritischer Nachfragen nicht. Aus der Union hatte es zuvor scharfe
Kritik an Stark-Watzinger und auch eine Rücktrittsforderung gegeben.
Wissenschaftler sehen das Vertrauen zu ihr erschüttert.

Die Geschichte ist komplex, reicht einige Wochen zurück und hatte am
Sonntagabend ihren vorläufigen Höhepunkt, als Stark-Watzinger bekanntgab, sich
von ihrer Staatssekretärin Sabine Döring zu trennen. Es sei ein personeller
Neuanfang nötig, schrieb sie in einer Mitteilung. Staatssekretäre sind nach den
Ministern die ranghöchsten Beamten in Ministerien. Das Bundesbildungsministerium
hat vier davon. Der Rauswurf war eine Konsequenz aus dem Umgang im Ministerium
mit einem offenen Brief von Hochschullehrern zum Nahost-Konflikt.

Kontroverse um Berliner Protestbrief nach Räumung von Camp

Die Affäre steht im Kontext der gesellschaftlichen Kontroverse, die sich
nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober und im Zuge des folgenden
Gaza-Krieges auch in Deutschland entwickelte. An Universitäten kam es zu
Protesten. Im Mai hatten mehr als 100 Dozenten mehrerer Berliner Hochschulen
einen offenen Brief geschrieben und darin die Räumung eines Protestcamps
propalästinensischer Demonstranten an der Freien Universität Berlin kritisiert.
"Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps
einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr
Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände
einschließt", schrieben sie.

Stark-Watzinger hatte das Schreiben kritisiert und ist nach eigener Aussage
"bis heute fassungslos, wie einseitig in diesem Brief der Terror der Hamas
ausgeblendet wurde. Und wie dort etwa pauschal gefordert wurde, Straftaten an
den Universitäten nicht zu verfolgen, während gleichzeitig antisemitische
Volksverhetzung und gewalttätige Übergriffe gegen jüdische Mitbürgerinnen und
Mitbürger zu beobachten sind", wie sie am Sonntagabend schrieb. Über die Haltung
der Ministerin und die der Hochschullehrer, die den Brief gezeichnet hatten,
wird seit Wochen vor allem in sozialen Netzwerken kontrovers diskutiert.

E-Mails belasten Ministerin

Die Ministerin geriet nun selbst in den Fokus, nachdem das ARD-Magazin
"Panorama" in der vergangenen Woche E-Mails veröffentlichte, aus denen
hervorging, dass jemand an hoher Stelle im Ministerium um Prüfung gebeten hatte,
inwieweit Aussagen im Protestbrief der Berliner Hochschullehrer strafrechtlich
relevant sind und ob das Ministerium als Konsequenz Fördermittel streichen
könnte. Aus dem Mailwechsel ergibt sich dem Bericht zufolge, dass Mitarbeiter
des Ministeriums Bedenken gegen eine solche Prüfung äußerten. Aber schon solche
Erwägungen sind nach Ansicht von Kritikern ein Eingriff in die vom Grundgesetz
garantierte Freiheit der Wissenschaft.

Stark-Watzinger äußerte sich lange nicht zum Thema und teilte dann am
Sonntagabend mit, dass es tatsächlich eine solche Prüfbitte bei den zuständigen
Fachreferaten ihres Ministeriums gab und dass dieser Prüfauftrag von
Staatssekretärin Döring veranlasst worden sei. Als Konsequenz muss diese jetzt
ihren Posten räumen. Nach eigenen Angaben erfuhr Stark-Watzinger von der
betreffenden E-Mail mit der Prüfbitte erst am vergangenen Dienstag. "Ich
verteidige die Wissenschaftsfreiheit in jede Richtung. Wissenschaftsförderung
erfolgt nach wissenschaftlichen Kriterien, nicht nach politischer
Weltanschauung. Das ist ein Kernprinzip der Wissenschaftsfreiheit", teilte sie
mit.

Prien spricht von "Bauernopfer"

Diskutiert wird darüber, ob die Entlassung Dörings für die Ministerin ein
Befreiungsschlag sein kann und ob sie wirklich nicht in die Vorgänge rund um die
betreffende E-Mail eingebunden war. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin und
CDU-Vize Karin Prien - die Stark-Watzinger auch bei anderen Themen immer wieder
hart kritisiert
- schrieb bei X, Staatssekretärin Döring werde "zum Bauernopfer
gemacht", damit zeige sich Politik von ihrer hässlichen Seite. Der
bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Thomas Jarzombek erklärte,
Stark-Watzinger habe recht, dass ein personeller Neuanfang im Ministerium
notwendig sei. "Sie muss diesen Schritt jetzt selbst vollziehen", forderte er.

Der Präsident des Deutschen Hochschulverbands, Lambert Koch, sagte der
"Rheinischen Post": "Dass ihre Staatssekretärin in einer politisch so sensiblen
Angelegenheit ohne ihr Wissen einen Prüfauftrag vergibt, ist wenig glaubwürdig."
Das Vertrauen zu Stark-Watzinger innerhalb der Wissenschaft sei erschüttert.

Koalitionspartner SPD und Grüne halten sich mit offener Kritik zurück

Die Koalitionspartner SPD und Grüne verzichteten auf offene Kritik an der
FDP-Ministerin. "Es ist gut, dass Bundesministerin Stark-Watzinger jetzt
aufklärt und schwerwiegende Konsequenzen zieht", sagte der bildungspolitische
Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Oliver Kaczmarek. Nun müsse verloren
gegangenes Vertrauen zurückerkämpft und sichergestellt werden, dass sich solche
Vorgänge nicht wiederholten. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des
Bundestagbildungsausschusses, Kai Gehring (Grüne). Es sei wichtig, dass sich die
Spitze des Hauses klar zur Wissenschaftsfreiheit bekannt habe. "Dieser klare Weg
muss nun glaubwürdig fortgesetzt werden, um verloren gegangenes Vertrauen
wiederherzustellen."/jr/DP/ngu

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