30.06.2024 14:12:51 - dpa-AFX: SPORT: Kerbers Rückkehr nach Wimbledon - 'Habe nichts zu verlieren'
LONDON (dpa-AFX) - Angelique Kerbers aktuelle Rolle im Welt-Tennis zeigt
sich auch an den Plänen der Wimbledon-Veranstalter. In einen der kleinen
Medienräume schicken sie die Siegerin von 2018, dort spricht sie vor dem
Turnierauftakt über ihre Rückschläge und ihre Rückkehr zum Ort ihres Triumphs.
Ein Stuhlkreis statt langer Sitzreihen vor ihr, kein fester Sitzplatz für die
Hauptdarstellerin. Da war Kerber in ihren besten Tennis-Zeiten anderes gewohnt.
Wimbledon ist ihr drittes Grand-Slam-Turnier nach ihrem Comeback auf der
Tour, auf der sie seit dem Jahreswechsel mit Töchterchen Liana unterwegs ist.
Die vier Grand Slams sind die bedeutendsten Events im Tennis. Die Turniere, bei
denen Sieg oder Niederlage erheblich mehr Beachtung finden als im Tennis-Alltag.
Kerber flog zweimal in der ersten Runde raus.
Wird Putinzewa zum nächsten Stolperstein?
An der Londoner Church Road geht es am Dienstag für sie mit einer
komplizierten Aufgabe gegen die Kasachin Julia Putinzewa los. Was, wenn es jetzt
auch auf ihrem geliebten Rasen nicht mit einem Erfolg klappt? "Ich habe nichts
zu verlieren. Ich bin jetzt hier, ich werde es genießen", sagte Kerber. "Ich bin
jetzt nicht hektisch, also überhaupt nicht. Ich bin da schon eher entspannter
und bleibe auch gelassen, weil ich weiß, was ich kann", betonte sie.
Nein, sagte die 36-Jährige, die Niederlagenserie angefangen mit dem
Erstrunden-Aus bei den French Open auf Sand und mit dem Auftakt-Aus in Berlin
und Bad Homburg auf Rasen ziehe sie nicht so runter. Sportliche Tiefs und Höhen
begleiten sie schon lange. "Natürlich fehlt dieses Selbstvertrauen, um die
Matches auch zu gewinnen", räumte die Kielerin aber ein. Selbstvertrauen, das
auf Rasen bei kurzen, schnellen Ballwechseln und engen Momenten ganz besonders
wichtig sein kann. Und die Matchpraxis fehlt.
Hilft die Erinnerung an schöne Wimbledon-Momente?
Verliert die ehemalige Weltranglisten-Erste nun schon wieder, werden die
Zweifel, ob sie den Anschluss noch einmal schaffen kann, und Diskussionen
darüber, wie lange sie noch spielt, zumindest nicht weniger. Die Hoffnung ist
vage, dass der spezielle Ort ein Wendepunkt sein kann. "Es ist ein besonderes
Gefühl nach all den Jahren, natürlich nach dem Titelgewinn und dem Finale,
zurückzukommen. Ich habe so viele großartige Erinnerungen", sagte Kerber.
Diesmal startet sie als Nummer 221 der Welt mit einer Wildcard, die ihr die
Organisatoren angesichts der vergangenen Erfolge gaben. Vor sechs Jahren holte
sie hier ihren dritten und bisher letzten Grand-Slam-Titel. Hier trägt sie als
Champion ein Abzeichen, das sie als Mitglied im All England Lawn Tennis and
Croquet Club ausweist und das ihr lebenslang Zutritt garantiert. Hier stand sie
2016 im Finale, 2021 ein weiteres Mal wie 2012 im Halbfinale.
Ob die Wimbledon-Rückkehr hilft? "Ich hoffe. Ich weiß es nicht", räumte
Kerber ein: "Ich habe hier schon so gute Matches gespielt, aber ich habe auch so
viele Matches hier gespielt, die wehtaten. Natürlich überwiegen die schönen
Momente und Emotionen, die ich hier hatte. Und ich hoffe, dass ich das auch
wieder merke und auf dem Platz einfach umsetzen kann."
Wimbledon hat für Kerber Priorität
So gering die Erwartungen bei den Australian Open an sie waren, war doch
wenig Zeit nach dem Comeback vergangen. So klein die Hoffnungen bei den French
Open waren, waren die für sie doch oft schwierig. Der Rasen sollte ihr
Schwerpunkt im Comeback-Jahr werden.
Im Training mit Jule Niemeier wirkte sie fit und schnell auf den Beinen.
Beobachtet von Mutter Beata und Lebensgefährte Franco Bianco bereitete sie sich
mit Trainer Torben Beltz vor. "Sie ist immer noch sehr gefährlich. Vor allem auf
Gras, weil sie sehr flache Bälle spielt", lobte die Weltranglisten-Dritte Aryna
Sabalenka zuvor in Berlin. "Es ist schwierig, nach einer Schwangerschaft wieder
auf Top-Niveau zu spielen. Es braucht Zeit. Vielleicht ist sie jetzt noch nicht
wieder bei 100 Prozent, aber sie wird wieder dahin kommen."
Das Selbstvertrauen, das Kerber fehlt, dürfte ihre kommende Gegnerin haben.
Putinzewa sicherte sich gerade in Birmingham ihren ersten Titel. Ganz
unglücklich mit der Auslosung war Kerber aber nicht. Immerhin sei die Kasachin
keine Gegnerin, die sie mit ihrem Tempo "komplett weghackt". Und sie ist keine
Linkshänderin, was ihr als Linkshänderin nicht liege.
"Ich hoffe, dass ich einfach hier irgendwie diesen Anschluss finde", sagte
Kerber. Auf wen sie in der zweiten Runde treffen könne, sei doch "scheißegal",
meinte sie: "Ich muss erst mal die erste Runde gewinnen."/puk/DP/nas