02.07.2024 08:30:03 - dpa-AFX: HINTERGRUND: First Lady im Fokus - Jill Biden kämpft für ihren Ehemann

WASHINGTON (dpa-AFX) - Es ist eine Szene, die im Gedächtnis bleibt: Der
mächtigste Mann der Welt steht auf der Bühne, wirkt überfordert. Seine Ehefrau
neben ihm lobt ihn überschwänglich: "Joe, du hast so einen großartigen Job
gemacht. Du hast alle Fragen beantwortet. Du kanntest alle Fakten." Der
US-Präsident verharrt regungslos. Joe Biden ist wohl in diesem Moment selbst
schon klar, dass sein Auftritt bei der TV-Debatte gegen seinen republikanischen
Herausforderer Donald Trump kein so großartiger Job war. Nur kurz vor dieser
Szene in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia hatte der 81-Jährige bei dem
TV-Spektakel vor einem Millionenpublikum einen desaströsen Auftritt abgeliefert.
Nun lobt ihn seine Ehefrau dafür - fast wie einen Schuljungen.

Die Bidens sind seit fast einem halben Jahrhundert verheiratet, die
73-jährige Jill gilt als die engste Vertraute des US-Präsidenten. Nach dem Tod
von Bidens erster Ehefrau und seiner Tochter bei einem Autounfall wurde sie zur
Mutterfigur für Bidens Söhne, die das Unglück überlebten. Das Paar hat noch eine
gemeinsame Tochter. Seit dem TV-Duell ist in den USA eine Debatte darüber
entbrannt, ob Joe Biden wirklich der richtige Kandidat für die
Präsidentschaftskandidatur der Demokraten ist - oder er besser Platz für eine
jüngere Alternative machen sollte. Und dabei ist auch Jill Biden in den Fokus
gerückt.

Große Erwartungen an die First Lady

"Es ist an der Zeit, dass Jill Biden ein schwieriges Gespräch mit ihrem Mann führt", schrieb etwa die "Washington Post". Es sei nun Zeit für den
"beschissenen Teil" einer Ehe. "Der Teil, in dem die Unterstützung des
Ehepartners bedeutet, ihm sehr, sehr harte Dinge zu sagen." Doch die Lehrerin
lässt zumindest öffentlich keinerlei Zweifel an ihrem Ehemann aufkommen. Ihre
eiserne Unterstützung sorgte in den vergangenen Tagen für viel Häme. "Jill Biden
weigert sich, aus dem Rennen um die Präsidentschaft auszusteigen", spottete die
christlich-konservative Satire-Webseite "The Babylon Bee" und macht sie zur
eigentlichen Kandidatin. Jill Biden habe angekündigt, ihren Ehemann bis nach der
Wahl in eine Art Schlaf zu versetzen und in der Zwischenzeit das Land selbst
weiterzuführen.

Jill, die Frau mit den Fäden in der Hand? Die Tochter des 2018 gestorbenen
republikanischen Senators John McCain, Meghan McCain, fand bitterböse Worte.
"Jill Biden wird in der amerikanischen Geschichte nicht in guter Erinnerung
bleiben", schrieb die konservative Publizistin im Internet. Auf der Plattform X
trendete bei Trump-Anhängern der Hashtag #elderabuse - also Missbrauch älterer
Menschen.

Hochglanzfoto auf dem Cover der "Vogue"

Am Montag machte dann der neue Titel des Modemagazins "Vogue" Schlagzeilen.
Die First Lady ist darauf in einem weißen Outfit des Designers Ralph Lauren zu
sehen. Auf dem Cover wird sie zitiert mit den Worten: "Wir werden über unsere
Zukunft entscheiden." Ob das gutes oder schlechtes Timing ist - darüber lässt
sich streiten. Die Fotos wurden bereits vor einiger Zeit gemacht, der freundlich
gesonnene Text beschreibt Jill Bidens Unterstützung für ihren Ehemann während
des Wahlkampfs. Vor dem Erscheinen hakte die "Vogue" noch einmal bei Jill Biden
nach und fragte nach dem TV-Debakel. Die machte unmissverständlich klar, dass
man nicht zulassen werde, dass "diese 90 Minuten" die vier Jahre von Bidens
Präsidentschaft bestimmten. "Wir werden weiter kämpfen."

Natürlich weiß niemand, was hinter den Kulissen bei den Bidens läuft. Der
US-Präsident hatte sich nach dem Auftritt mit seiner Familie zurückgezogen. Das
Treffen war schon länger geplant. Das Weiße Haus legte Wert darauf, dass die
Zusammenkunft keine kurzfristig angesetzte Krisensitzung sei. Doch zumindest
nach außen hin versucht Jill Biden den verpatzten Auftritt kleinzureden. "Es
gibt niemanden, den ich im Moment lieber im Oval Office sitzen hätte als meinen
Mann", sagte sie am Freitag bei einem gemeinsamen Auftritt. Gekleidet war sie in
einem auffälligen Kleid, auf dem in weißen Lettern "Vote" stand - auf Deutsch
sinngemäß: "Geh wählen."

Debatte nicht frei von Sexismus

Je häufiger Jill Biden in den vergangenen Tagen auftrat oder sich äußerte,
desto größer wurde der Spott im Netz. Die Vorwürfe, ihr würde es nur um ihre
eigene Macht gehen, triefen vor Sexismus. Dennoch fragen sich viele, warum die
First Lady ihrem Mann offenbar nicht ins Gewissen redet. "Es ist nicht Jill
Bidens Job, den Präsidenten in den heikelsten Angelegenheiten und bei
schwierigen Entscheidungen zu beraten. Sie wurde nicht dafür gewählt. Sie wurde
nicht gewählt, Punkt", urteilt die "New York Times" in einem Meinungsstück. Sich
auf Jill Biden zu konzentrieren entlasse Joe Biden aus seiner Verantwortung. "Es
liegt an ihm, die nötige Selbstreflexion und den Charakter zu beweisen, um die
richtige Entscheidung zu treffen."/nau/DP/zb

--- Von Julia Naue, Magdalena Tröndle und Luzia Geier, dpa ---

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