16.07.2024 12:18:45 - dpa-AFX: Frühere Cum-Ex-Ermittlerin: Müssen Milliarden zurückholen

BERLIN (dpa-AFX) - Nach ihrem Wechsel zur Bürgerbewegung Finanzwende sagt
die frühere Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker Finanzkriminalität abermals
den Kampf an. Ihre neue Rolle bei der Nichtregierungsorganisation bedeute eine
geänderte Strategie, erklärte sie. "Ich kenne die Täter und weiß, wie sie
arbeiten. Dieses Wissen will ich jetzt nutzen, um kriminelle Geschäfte zu
verhindern, bevor sie überhaupt passieren können."

Brorhilker will als neue Geschäftsführerin bei Finanzwende mit öffentlichem
Druck auf die Politik dafür kämpfen, dass gestohlene Steuergelder zurückgezahlt
werden. Sie sei nun nicht mehr an politische Zurückhaltung gebunden, sagte sie
in einem Pressegespräch. Finanzkriminalität werde in Deutschland zu häufig als
Kavaliersdelikt angesehen. "Es geht aber um Milliarden, die uns allen fehlen und
die wir endlich zurückholen müssen."

Mühsamer Kampf gegen Steuerkriminalität

Die frühere Kölner Oberstaatsanwältin galt als wichtigste Ermittlerin im
Cum-Ex-Steuerskandal, bei den Banken den deutschen Staat mithilfe illegaler
Aktiendeals um geschätzt mindestens zehn Milliarden Euro prellten. In rund 120
Cum-Ex-Verfahren wurde in Köln unter Brorhilkers Führung gegen 1700 Beschuldigte
ermittelt. Im April bat Brorhilker überraschend um Entlassung aus dem
Staatsdienst - verbunden mit scharfer Kritik an der aus ihrer Sicht
unzureichenden Aufarbeitung des Steuerskandals.

Bei Cum-Ex-Deals wurden Aktien mit und ohne Ausschüttungsanspruch rund um
den Dividendenstichtag zwischen Beteiligten hin- und hergeschoben. Am Ende
erstatteten Finanzämter nicht gezahlte Kapitalertragssteuern. Erst 2012 wurde
die Gesetzeslücke geschlossen. 2021 entschied der Bundesgerichtshof, dass
Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung zu werten sind. Inzwischen wurden
manche Täter verurteilt, darunter Cum-Ex-Architekt Hanno Berger.

Schwere Vorwürfe an Finanzbehörden und Bankenlobby

Bei Finanzwende setzt sich Brorhilker unter anderem für die Verfolgung von
Cum-Cum-Geschäften ein, die artverwandt mit Cum-Ex-Deals sind. Obwohl der
Steuerschaden bei Cum-Cum mit geschätzt 28,5 Milliarden Euro viel größer sei als
bei Cum-Ex, hätten die Finanzbehörden bisher nur einen Bruchteil zurückgeholt.
Seit einem Urteil des Bundesfinanzhofs 2015 sei "unzweifelhaft klar, dass die
Geschäfte steuerrechtlich nicht in Ordnung sind", sagte Brorhilker. Knapp zehn
Jahre später sei kaum etwas passiert.

Ein Missstand aus Brorhilkers Sicht: Ein Schreiben aus dem
Bundesfinanzministerium 2016 habe die klare Faktenlage so weit verkompliziert,
dass es die Banken vor einer Rückzahlung der Profite aus den illegalen
Geschäften geschützt habe. Erst 2021 sei das Papier korrigiert worden.
Finanzwende wolle wissen, wie das passieren konnte. Auf Anfragen bei
Finanzbehörden habe man bislang keine befriedigende Antwort bekommen. Daher habe
der Verein Klage auf die Herausgabe von Dokumenten eingereicht.

Die Finanzbranche sieht Brorhilker als mächtigen Gegner. Sie sei eine
"große, sehr gut vernetzte Branche", die ein großes Interesse daran habe,
effektive Kontrollen und Strafverfolgung zu Cum-Geschäften verhindern. Offenbar
komme sie damit durch. Maßgeblich dafür sei die "Blockadehaltung" betroffener
Behörden, kritisierte Brorhilker. Man habe den Eindruck, "dass die
Finanzministerien der Finanzlobby näher stehen als dem Bürger"./als/DP/nas

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