08.07.2024 16:28:31 - dpa-AFX: ROUNDUP: Neue rechte Fraktion im EU-Parlament gründet sich - ohne AfD

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Das von Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban vor
knapp einer Woche aus der Taufe gehobene Rechtsbündnis "Patrioten für Europa"
bildet eine neue Fraktion im Europaparlament. Neben Orbans Partei Fidesz sind
unter anderem das rechtsnationale Rassemblement National aus Frankreich, die an
Italiens Regierung beteiligte nationalistische Lega und die
einwanderungsfeindliche FPÖ aus Österreich Teil der Fraktion, wie Vertreter des
neuen Zusammenschlusses nach der Gründungssitzung in Brüssel sagten. Die
deutsche AfD wird vorerst kein Mitglied sein.

Fraktionschef soll der Franzose Jordan Bardella werden. Nun muss die
Fraktion Parlamentspräsidentin Roberta Metsola über die Gründung informieren.
Offiziell bestätigt wird sie dann voraussichtlich bei der kommenden
Plenarsitzung nächste Woche in Straßburg. Für die Gründung einer Fraktion im
Europaparlament sind mindestens 23 Abgeordnete aus mindestens 7 Ländern
erforderlich. Die neue Fraktion wird nach eigenen Angaben die drittstärkste
hinter Sozialdemokraten und dem mitte-rechts Bündnis EVP sein, zu dem auch CDU
und CSU zählen. Nach eigener Rechnung umfasst die Fraktion 84 Abgeordnete. Sie
setzt sich aus Abgeordneten aus zwölf Ländern zusammen.

Orban, zugleich Vorsitzender der ungarischen Regierungspartei Fidesz, der
Chef der rechten österreichischen FPÖ, Herbert Kickl, und der Vorsitzende der
populistischen tschechischen ANO, Andrej Babis, hatten vor gut einer Woche in
Wien das Bündnis "Patrioten für Europa" angekündigt. Die neue Fraktion soll laut
Orban Europa "auch gegen den Willen der Brüsseler Eliten verändern". Orban hatte
erst jüngst mit einer Reise nach Moskau die Kritik vieler EU-Staaten auf sich
gezogen. Ungarn übernahm am 1. Juli den alle sechs Monate rotierenden
EU-Ratsvorsitz.

Ein "Patriotisches Manifest" des Bündnisses beinhaltet die bekannten
Positionen rechter, rechts-populistischer und rechtsextremer Parteien: Ablehnung
von Migration und "Green Deal", keine Unterstützung der von Russland
angegriffenen Ukraine sowie Rückbau der Integration in der EU zwecks Stärkung
der Souveränität der Nationalstaaten.

Zusammenschluss vieler Rechtsaußenparteien

Die FPÖ ist in Österreich seit Jahrzehnten etablierte politische Kraft und
aktuell auf dem Höhenflug. Dank ihrer Anti-Migrations-Haltung haben die
Rechtspopulisten bei der Nationalratswahl im Herbst gute Chancen, auf Platz eins
zu landen. Der ANO-Gründer, Ex-Ministerpräsident und Milliardär Andrej Babis
suchte bereits seit längerem den Schulterschluss mit Viktor Orban. Wären heute
Parlamentswahlen in Tschechien, würde die populistische ANO mit Abstand stärkste
Kraft werden.

Das Rassemblement National von Marine Le Pen wurde bei der Europawahl mit
deutlichem Vorsprung stärkste Kraft in Frankreich. In der darauffolgenden
Neuwahl des französischen Parlaments landeten die Rechtsnationalen allerdings
unerwartet nur auf dem dritten Platz. Seit Jahren ist Le Pen bemüht, das RN zu
"entteufeln", und von seiner rechtsextremen Geschichte und der
Holocaust-Verharmlosung des Parteigründers Jean-Marie Le Pen zu entkoppeln.
Damit hat sie die Partei bis weit in die bürgerliche Mitte hinein wählbar
gemacht.

Die Partei Fidesz regiert in Ungarn seit 2010 ununterbrochen. Sie musste bei der Europawahl deutlich Federn lassen, ist aber dennoch stärkste Partei
geblieben. Die Rechtspopulisten stellen sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen
und steht etwa wegen eines Abbaus des Rechtsstaats, Klientelismus und Gängelung
der freien Medien in der Kritik.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde die
Kremlfreundlichkeit des Parteichefs und Ministerpräsidenten Orban immer
deutlicher, vor wenigen Tagen auch durch seinen überraschenden Besuch bei Putin.

Auch Parteien aus Italien, Spanien und der Niederlande dabei

Die Lega von Italiens Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini ist seit Oktober 2022 zusammen mit zwei anderen Rechtsparteien in Rom an der Regierung. Der
Rechtspopulist Salvini wurde in früheren Jahren als Innenminister durch ein
äußerst hartes Vorgehen gegen Flüchtlinge auf dem Mittelmeer und gegen
Hilfsorganisationen bekannt. Seine Hoffnung, Ministerpräsident zu werden,
erfüllte sich bislang nicht. Bei der Europawahl stürzte die Lega von 34 Prozent
(2019) auf nur noch neun Prozent ab.

Vox ist in Spanien in der Opposition und will ein Europa "freier und
souveräner Vaterländer". Die Partei propagiert Stolz auf die eigene Nation,
Bevorzugung heimischer Produkte, Einschränkung des Freihandels und Beendigung
illegaler Einwanderung. Zudem fällt sie durch Diffamierung von Einwanderern auf,
die oft als kriminell und nur an Sozialleistungen interessiert beschrieben
werden. Die traditionelle Familie soll Keimzelle eines Staates sein, der straff
zentralistisch geführt wird und nur die nationalen Interessen im Augen haben
soll.

Auch aus weiteren kleineren EU-Ländern Parteien mitmachen. Dazu zählt etwa
die radikal-rechte Partei des Niederländers Geert Wilders, die
rechtspopulistische Dänische Volkspartei und Belgiens radikal rechter Vlaams
Belang. Zudem hat die 2019 gegründete rechtspopulistische Partei Chega (Es
reicht) aus Portugal ihr Interesse bekundet.

Die AfD bleibt außen vor

Die deutsche AfD, die vor der Europawahl aus der rechtsnationalistischen
Fraktion ID ausgeschlossen worden war, sieht zunächst ihren Platz nicht in den
Reihen der neuen Allianz um Orban. AfD-Chefin Alice Weidel hatte dies am letzten
Dienstag ausgeschlossen. Man sei im Austausch, aber momentan sei das keine
Option. Sie sprach von einem strategisch langfristigen Projekt. "Wir sind in
Freundschaft verbunden, wir haben unglaubliche inhaltliche Schnittmengen, aber
sowohl die eine als auch die andere Partei unterliegt politischen und auch
außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Zwängen, auf die wir momentan
Rücksicht nehmen müssen", sagte die AfD-Chefin auf die Frage, ob ihre Partei in
dem Bündnis nicht gewollt sei.

Voraussichtlich drittstärkste Kraft im Parlament

Der Vorsitzende der deutschen SPD-Abgeordneten René Repasi sieht in dem
neuen Bündnis vor allem eine Schwächung von Italiens Regierungschefin Giorgia
Meloni. Ihre Partei gehört der rechtskonservativen Fraktion EKR an, die wegen
des neuen rechten Bündnisses nicht mehr die Drittstärkste Kraft
stellt./mjm/DP/men

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