11.07.2024 06:25:46 - dpa-AFX: Weg frei für Habeck als Grünen-Kanzlerkandidat?

DORTMUND (dpa-AFX) - Außenministerin Annalena Baerbock verzichtet auf eine
erneute Grünen-Kanzlerkandidatur - damit scheint der Weg frei zu sein für Robert
Habeck. Der Wirtschafts- und Klimaschutzminister sagt am Abend in Dortmund, es
werde alles Weitere in den Gremien beraten, die richtigen Entscheidungen würden
"rechtzeitig" verkündet. Seine Ambitionen meldet Habeck bisher nicht offen an -
noch nicht.

Habeck vorm Hüttenmann

Habeck ist dem Vernehmen nach vorher informiert über Baerbocks Schritt. Der
Vizekanzler ist am Mittag in Dortmund, seit Montag ist er auf Sommerreise durch
mehrere Bundesländer. Dann macht die Nachricht die Runde, dass Baerbock
verzichtet. Unter den Reportern bricht Hektik aus. Kurzfristig gibt Habeck ein
Statement, er steht vor der Skulptur "Hüttenmann", im Hintergrund ein
stillgelegter Hochofen. Dann geht es noch kurz in eine Brauerei, bevor Habeck
ins Dortmunder Stadion düst - der Minister schaut das EM-Halbfinale Niederlande
gegen England.

Vizekanzler hat keine Eile

"Erst einmal will ich sagen, dass Annalena Baerbock dafür gesorgt hat, dass
Deutschland in den letzten Jahren ein Stabilitätsfaktor in der Außenpolitik
gewesen ist und nach wie vor ist", sagt er. Sie mache "einen hervorragenden Job
als Außenministerin". Auf eine Frage nach seinem eigenen Anspruch, für seine
Partei als Kanzlerkandidat anzutreten, fügt Habeck nur einen Satz hinzu: "Alles
Weitere werden wir in den Gremien beraten und die richtigen Entscheidungen
rechtzeitig verkünden."

Dabei ist vielen klar: Habeck will es machen und die Grünen in den Wahlkampf führen - nachdem er vor der Bundestagswahl 2021 zugunsten von Baerbock
verzichtet hatte. Damals sagte er der "Zeit": "Nichts wollte ich mehr, als
dieser Republik als Kanzler zu dienen. Und das werde ich nach diesem Wahlkampf
nicht".

Habecks indirekte Bewerbungsrede

Bei einem WAZ-Lesedialog in Essen am Mittag wird Habeck gefragt, wie es nun
mit der Ampel weitergehe bis zur nächsten Wahl, nach der Grundsatzeinigung über
den Haushalt 2025. Habeck holt aus, verweist auf die unsichere Lage in den USA
angesichts der Präsidentschaftswahlen im November und auf schwierige
Regierungsbildung in Frankreich.

Die Frage der Kanzlerkandidatenfrage sei weniger eine Frage an ihn oder an
Baerbock nach dem Motto: "Wer will denn mal, wer hat noch nicht? Sondern
vielmehr eine Frage an meine Partei, aber die geht auch an andere Parteien: Was
bietet ihr dem Land an? Was wollt ihr in Zukunft repräsentieren? Wer wollt ihr
sein als Partei? Welche Rolle wollt ihr wahrnehmen und welche Rolle wollt ihr
spielen?" Dies müsse beantwortet sein.

Und dann sagt Habeck noch: Natürlich müssten alle Parteien für ihre
Überzeugung werben. Aber das, was eine Partei wolle, dürfe nicht größer werden
als das, was das Land brauche.

Grüne Volkspartei?

Übersetzt heißt das: Der Pragmatiker Habeck will, dass die Grünen sich
inhaltlich breiter aufstellen - mit einem Ergebnis von 11 Prozent wie in den
jüngsten Umfragen wird man kein Kanzler. Dahinter steht die Idee einer "grünen
Volkspartei". Und falls er als Kanzlerkandidat antreten sollte, will er die
Führung haben.

Das aber könnte noch für Streit sorgen. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete
Felix Banaszak fordert für den Fall einer Grünen-Kanzlerkandidatur eine bessere
Einbindung der Partei durch Habeck. Auf die Frage, ob der Wirtschaftsminister
die Kanzlerkandidatur übernehmen solle, sagt er der Düsseldorfer "Rheinischen
Post" kurz vor Baerbocks Verzicht: "Robert Habeck ist eine von zwei guten
Personen, die dafür in Frage kommen. Dafür muss er unter Beweis stellen, dass er
die Partei in ihrer Breite mitnehmen kann und will." Banaszak hält es für
ausreichend, die Kandidatur-Frage im Herbst zu klären.

Baerbock verspricht Habeck jedenfalls eine gute Zusammenarbeit. "Robert und
ich gehen jetzt schon fast ewig gemeinsam durch dick und dünn und werden in den
kommenden Wochen eng zusammenarbeiten", schreibt sie nach Informationen der
Deutschen Presse-Agentur in einer Nachricht an die Fraktion. "Ohne Frage werde
ich mich natürlich mit Verve in den grünen Wahlkampf reinhängen als Teil eines
starken grünen Teams."

Habeck betont Erfolge

Falls er es machen sollte: Ein Wahlkampf als Kanzlerkandidat dürfte nicht
einfach werden für Habeck. Die erbitterten Streitigkeiten über das
Heizungsgesetz mit einer monatelangen Verunsicherung vieler Bürger könnten ihn
einholen.

Auf seiner Sommerreise betont Habeck, was die Regierung und er geleistet
hätten: die Energiepreiskrise nach dem russischen Angriffskrieg in den Griff
bekommen, den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Stromnetze entscheidend
vorangebracht. Und die Wirtschaft komme auch langsam wieder in Schwung. Dazu
beitragen soll auch ein Wachstumspaket der Regierung - allerdings sind die
vielen geplanten Maßnahmen noch lange nicht unter Dach und Fach./hoe/DP/stk

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