05.07.2024 21:35:03 - dpa-AFX: EM 2024/ROUNDUP 2/'Nicht verdient': EM-Endstation nach Spanien-Schock

(neu: Überschrift, Einstieg, Reaktionen, Kroos, Nagelsmann, Kimmich, 1. bis
7. Absatz)

STUTTGART (dpa-AFX) - Julian Nagelsmann sprach mit ruhiger Stimme, doch
emotional wirkte der Bundestrainer schwer mitgenommen. Aus den Boxen dröhnte
laute Partymusik, als Nagelsmann versuchte, das EM-Aus der
Fußball-Nationalmannschaft im Viertelfinale gegen erneut unschlagbare Spanier
irgendwie zu erklären. "Heute war es nicht verdient", sagte Nagelsmann bei
MagentaTV. "Wir haben mehr investiert, aber am Ende sind sie die Glücklicheren."

In der Kabine waren auch Toni Kroos zu seinem Abschied und Joshua Kimmich
für die aufbauenden Worte verantwortlich, wie Nagelsmann berichtete. Der 34
Jahre alte Kroos erlebte beim 1:2 (1:1, 0:0) am Freitag in Stuttgart sein
letztes Spiel als Profifußballer, und es endete auf die schmerzhafteste Art und
Weise. Nach einer mitreißenden Aufholjagd und aufopferungsvollem Kampf traf
Spaniens Mikel Merino in der 119. Minute - wenigstens das Elfmeterschießen
hätten Kroos und die DFB-Auswahl verdient gehabt.

"Wir hätten ihm gerne einen schöneren Abschied beschert, weil er es verdient hätte", sagte Nagelsmann über Kroos. "Er ist einfach ein toller Typ mit einer
außergewöhnlichen Karriere, Vorbild für viele."

Bei den Tausenden Fans auf den Tribünen des Stuttgarter Stadions und in den
Fanzonen im ganzen Land waren die Tränen geflossen. Der Traum vom vierten
EM-Titel ist nach drei beschwingten Wochen mit Torfesten und Gute-Laune-Spielen
zwei Schritte vor dem Finale zu früh vorüber. Der überragende Florian Wirtz
(89.) hatte die Nationalmannschaft mit seinem Tor für eine Drangphase voller Mut
und Siegeswille belohnt und in die Verlängerung gerettet. Spanien war durch den
Leipziger Dani Olmo (51. Minute) in Führung gegangen.

"Die Enttäuschung ist riesig, so eine Heim-EM kommt nur einmal im Leben",
sagte Kimmich. "Viel können wir uns nicht vorwerfen, außer, dass wir die Chancen
nicht gemacht haben. Bitter, sehr bitter."

Kroos' bitter Abschied

Der am Ende von Krämpfen gepeinigte Kroos wurde nach seinem 114. Länderspiel auch von vielen spanischen Spielern in den Arm genommen. Wie es für die anderen
Rio-Weltmeister Manuel Neuer und Thomas Müller in der Nationalmannschaft
weitergeht, ist abzuwarten.

"Wir haben alle alles reingelegt, um nicht zu verlieren. Da waren wir sehr
nah dran, umso bitterer ist es", sagte Kroos. "Im Moment überwiegt das
Turnier-Aus, das steht im Vordergrund, weil wir alle gemeinsam ein großes Ziel
hatten. Dieser Traum ist ein Stück weit geplatzt, auch wenn wir in den nächsten
Tagen realisieren, dass wir ein gutes Turnier gespielt haben." Es gehöre dazu,
"dass wir alle extrem traurig sind".

Das große Aufbäumen mit Fan-Liebling Niclas Füllkrug und die beste
Turnierleistung nach dem Gegentor wurden nicht belohnt - diesmal konnte auch der
deutsche Super-Joker das Glück nicht erzwingen. Während die Furia Roja, bei der
Daniel Carvajal Gelb-Rot sah (120.+5), um ihren vierten EM-Stern spielt, geht es
für Bundestrainer Nagelsmann zu früh in den Urlaub, seinen 37. Geburtstag in gut
zwei Wochen wollte der jüngste deutsche Turniertrainer eigentlich mit dem
EM-Pokal feiern.

Geschlagen, aber nicht gebeugt verlassen die DFB-Profis um Kapitän Ilkay
Gündogan die EM-Bühne. Aus der deutschen Fußball-Depression aus dem Spätherbst
2023 ist tatsächlich eine Aufbruchstimmung entstanden. Völlig losgelöst - wie im
recycelten Fan-Hit - geht es Richtung WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko
weiter.

Viele Fouls und Unterbrechungen

"Nicht verstecken!", hatte Nagelsmann für das Viertelfinale vorgegeben - und dafür überraschend Emre Can statt Robert Andrich für die Startelf nominiert. Die
Anspannung war den Nationalspielern in der Anfangsphase aber deutlich anzusehen.
Nach Pedris Schuss schon nach 52 Sekunden, einem Aufreger, mit dem Neuer keine
Probleme hatte, hatte die DFB-Auswahl große Mühe, in die Partie zu finden.

Wegen vieler Fouls und Nickeligkeiten kam kaum Spielfluss zustande, Kroos
hatte großes Glück, dass eines seiner beiden Fouls in den ersten fünf Minuten
nicht direkt mit der Gelben Karte bestraft wurde. Der Weltmeister erwischte
Pedri so, dass dieser früh angeschlagen ausgewechselt wurde (8.). Für den 21
Jahre alten Lenker und Denker der Spanier kam Olmo in die Partie.

Zeichen setzen, die Spanier einschüchtern - der Gedanke hinter dem deutschen Auftakt in das Alles-oder-Nichts-Spiel war zu erkennen. Nur verhalf das harte
Gegenhalten der DFB-Auswahl nicht zu ihrer spielerischen Sicherheit.
Symptomatisch: Nach einem Fehler von Gündogan stürmte Olmo auf Neuers Tor zu,
Antonio Rüdiger ging mit einem Foul dazwischen und sah seine zweite Gelbe Karte
im Turnier.

Kaum Raum für Musiala

Wenn was in der Offensive ging, dann über die rechte Seite. Joshua Kimmich
bediente in der Mitte Kai Havertz, dessen Kopfball aber zu zentral auf den
spanischen Torwart Unai Simón kam (21.). Die beiden offensiven Flügel, Jamal
Musiala und Leroy Sané, fanden zunächst nicht den Raum für ihre Technik und ihre
Schnelligkeit. Wie die Dänen im Achtelfinale (2:0) schienen die Spanier Musiala
als den Deutschen ausgemacht zuhaben, den es aus dem Spiel zu nehmen gilt. Der
linke Schienenspieler David Raum konnte sich hinter Musiala in der
Rückwärtsbewegung zu oft nur mit Fouls behelfen.

Spanien spielte nicht immer auf Weltklasseniveau. Auch das punktbeste Team
der Vorrunde brachte nicht alle Pässe an den Mann und hatte Mühe mit dem frühen
Pressing der Nationalmannschaft. Der englische Schiedsrichter Anthony Taylor
hätte in den ersten 45 Minuten mehr als die drei Gelben Karten zeigen können.
Ein Spiel "auf hohem taktischem Niveau", sagte Ex-Nationalspieler Michael
Ballack mit viel Spanien-Erfahrung bei MagentaTV über die erste Halbzeit. Früh
war klar: Wer in Rückstand gerät, wird große Probleme haben.

Neuer musste auch bei den Abschlüssen von Aymeric Laporte (23.) und Olmo
(39.) eingreifen. Der Chance des eingewechselten Spielmachers ging ein schneller
Ballgewinn der Spanier gegen den zu passiven Havertz voraus. Mit dem 0:0 zur
Pause konnten die deutschen Nationalspieler zufriedener sein als die Spanier.

Nagelsmann korrigiert - Olmo trifft

Auch deshalb korrigierte Nagelsmann zur zweiten Halbzeit seine
Personalentscheidungen: Für Can kam Robert Andrich, statt Sané spielte Florian
Wirtz mit. Die nächste richtig gute Chance hatten aber die Spanier: Álvaro
Morata setzte sich im Strafraum gegen Jonathan Tah durch und kam zum Abschluss,
der noch über das Tor von Neuer ging (47.). Doch der nächste Schuss der Spanier
saß.

Raum war gegen Spaniens Supertalent Lamine Yamal viel zu passiv, in der
Mitte ließ Kroos Olmo zu viel Raum. Der 26-Jährige schloss flach und platziert
ab - und die Spanier feierten. Jetzt wurde es ganz schwer für die DFB-Auswahl.

Die Fans auf den Rängen feuerten "Super Deutschland!" an, doch der Rückstand hemmte die Nationalspieler. Andrich sah nach einem Foul an Nico Williams die
Gelbe Karte (56.) Dann brachte Nagelsmann für Gündogan Publikumsliebling
Füllkrug in die Partie, der Stürmer lief unter lauten Jubelrufen der Fans auf
den Rasen (57.).

Der DFB-Auswahl lief die Zeit davon. Immer wieder rannte sich Deutschland am spanischen Strafraum fest oder hatte Pech wie beim Pfostentreffer von Füllkrug.
Für die Schlussphase kam Müller für Tah in die Partie (80.), es zählte nur noch,
irgendwie den Ausgleich zu machen. Dann kam Wirtz und verwandelte nach Vorlage
von Kimmich. Die Entscheidung musste in der Verlängerung fallen, in der wieder
Wirtz nur ganz knapp vorbei schoss (105.+1). Dann kam der bittere Nackenschlag
kurz vor dem Elfmeterschießen./aer/DP/he

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