05.07.2024 17:34:32 - dpa-AFX: ROUNDUP: Orban provoziert EU-Partner mit Reise zu Putin

MOSKAU (dpa-AFX) - Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat mit einem
nicht abgesprochen Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin Empörung von
EU- und Nato-Partnern provoziert. Spitzenpolitiker kritisierten die Reise als
"unverantwortlich" und schädlich für die Bemühungen um einen für die Ukraine
akzeptablen Frieden - vor allem auch, weil Ungarn erst am vergangenen Montag den
alle sechs Monate wechselnden Vorsitz im EU-Ministerrat übernommen hat. Kritik
kam auch aus der Ukraine.

EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen machte deutlich, dass sie den
Alleingang Orbans als Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union
ansieht. "Nur Einigkeit und Entschlossenheit werden den Weg zu einem
umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine ebnen",
kommentierte sie. "Beschwichtigungspolitik wird Putin nicht aufhalten."

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Bundeskanzler Olaf Scholz
reagierten hingegen vergleichsweise zurückhaltend. Scholz stellte lediglich
klar, dass Orban als Ministerpräsident Ungarns zu Putin reiste und nicht als
außenpolitischer Vertreter der EU.

Stoltenberg erklärte in Brüssel, Ungarn habe das Bündnis über die Reise im
Vorfeld informiert. Er betonte, wichtig sei, dass sich alle einig seien, dass
Russland im Konflikt mit der Ukraine der Aggressor sei und die territoriale
Integrität und Souveränität respektiert werden müsse. Orban vertrete bei Treffen
mit Putin auch nicht die Nato. Es sei zudem klar, dass nur die Ukraine
entscheiden könne, was für sie akzeptable Bedingungen für Friedensverhandlungen
seien.

Der Kremlchef stichelt

Putin nutzte die Situation am Freitag dennoch umgehend aus. Er begrüßte
Orban mit den Worten: "Ich verstehe, dass Sie diesmal nicht nur als unser
langjähriger Partner, sondern auch als amtierender Ratspräsident der EU
hierherkommen."

Auf einem von Orban auf der Plattform X geteilten Foto war auch ein Logo der EU-Ratspräsidentschaft Ungarns eingeblendet. Direkt dazu äußerte er sich jedoch
nicht. Hingegen rühmte er in Moskau seine angestrebte Rolle eines Vermittlers im
Ukraine-Konflikt. "Langsam werden die Länder weniger, die mit beiden
kriegsbeteiligten Seiten sprechen können, so langsam ist Ungarn das einzige Land
in Europa, das mit jedem sprechen kann", sagte er.

Vorher hatte er bei X seine beabsichtigte Friedensmission definiert. "Auch
wenn die rotierende EU-Ratspräsidentschaft kein Mandat hat, im Namen der EU zu
verhandeln, können wir uns nicht zurücklehnen und darauf warten, dass der Krieg
auf wundersame Weise endet", schrieb er. "Wir werden ein wichtiges Instrument
sein, um die ersten Schritte in Richtung Frieden zu machen." Polens
Regierungschef Donald Tusk kommentierte dazu: "Die Frage ist, in wessen Händen
sich dieses Instrument befindet."

Orbans Besuch nützt Putin

Putin kommt der Besuch Orbans sehr gelegen, um zu zeigen, dass er trotz
seines Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht isoliert ist.

Zugleich bietet ihm die Visite die Chance die Zerstrittenheit des Westens zu zeigen. Dabei gab der Kremlchef zu verstehen, dass er kaum von seinen
Vorstellungen für eine Aufteilung der Ukraine abweichen werde. Seine Vorschläge
für einen "Frieden" habe er jüngst bei einer Rede im eigenen Außenministerium
klar dargelegt, Orban seien diese sicher bekannt, sagte er unter beifälligem
Kopfnicken seines Gastes.

Dabei hatte Putin als Voraussetzung für Friedensverhandlungen einen Rückzug
der Kiewer Truppen aus allen vier von Moskau beanspruchten Regionen im Osten und
Südosten der Ukraine genannt. Später hatte er zudem die Möglichkeit einer
Feuerpause vor der Aufnahme von Verhandlungen verneint.

Kiew ist verärgert

Auch das ukrainische Außenministerium kritisierte Orbans Reise nach Moskau.
"Wir erinnern daran, dass der Grundsatz "keine Abkommen über die Ukraine ohne
die Ukraine" für unser Land unantastbar bleibt und rufen alle Staaten dazu auf,
sich strikt daran zu halten", schrieb die Behörde in Kiew. Die Reise sei ohne
Zustimmung Kiews erfolgt und mit der ukrainischen Seite auch nicht abgestimmt
worden.

Erst am Dienstag hatte Orban Kiew besucht - das erste Mal seit Kriegsbeginn. Dort forderte er Selenskyj auf, eine Feuerpause in Erwägung zu ziehen, um
Verhandlungen zu ermöglichen. Die Beziehungen zwischen Kiew und Budapest gelten
als angespannt, weil Orban mehrfach Hilfen für die Ukraine verzögert hat und
Sanktionen gegen Russland zu verhindern suchte. Öffentlich ließ Selenskyj Orbans
Vorschlag unbeantwortet. Kiew lehnt bisher offiziell eine Waffenruhe vor dem
Abzug russischer Truppen ab.

Wirklich überraschen konnte Orbans Reise zu Putin allerdings niemanden. Der
Ungar vertritt seit langem den Standpunkt, dass der politische Kurs von EU und
Nato zu einer Ausweitung des Krieges über die Ukraine hinaus führen könnte.
Zuletzt handelte er beispielsweise in der Nato aus, dass sich Ungarn weder
finanziell noch mit Personal an einem geplanten Nato-Einsatz zur Koordinierung
von Waffenlieferungen für die Ukraine beteiligen muss./kl/DP/he

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