09.07.2024 10:00:04 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Kann uns Frankreich einfach den Strom abdrehen?

PARIS/BERLIN (dpa-AFX) - Frankreichs extremer Rechter sind Stromlieferungen
ins europäische Ausland ein Dorn im Auge. Bedeutet das Ergebnis der vorgezogenen
Parlamentswahlen, bei der Rassemblement National (RN) mit Marine Le Pen
drittstärkste Kraft wurde, nun ein Aufatmen? Immerhin sehen die Linken die Sache
mit dem Ausstieg aus dem europäischen Strommarkt ähnlich. Und mit La France
Insoumise hat gerade das neue Linksbündnis gewonnen. Deutschland wäre mit
Stromimporten direkt betroffen. Wie hoch sind diese? Und: Ist ein Ausstieg
Frankreichs überhaupt realistisch?

Behauptung

Frankreich kann Stromlieferungen nach Deutschland einstellen.

Bewertung

So einfach ist das nicht möglich.

Fakten

Hauptsorge der Menschen in Frankreich und damit wichtigstes Thema in
Wahlkämpfen ist derzeit die Kaufkraft. Le Pens Rechtsnationale aber ebenso die
Linkspartei La France Insoumise und die Kommunisten fordern daher regelmäßig
einen Ausstieg aus dem europäischen Strommarkt und legen den Menschen nahe,
Frankreich könne sich mit seinem Atomstrom und einem selber festgelegten Tarif
preiswerter versorgen - die Menschen hätten also mehr Geld im Portemonnaie.

Le Pen hatte auch gewettert, die europaweit abgestimmten Strompreise gingen
zulasten von Frankreichs Industrie, die mehr bezahlen müsse, weil Deutschland
wegen seines Atomausstiegs vor Versorgungsproblemen stehe. Aktuell fordert der
Chef des Rassemblement National, Jordan Bardella, für Frankreich eine Ausnahme
von den europäischen Regeln zur Festlegung der Energiepreise. Dies würde jedoch
nicht bedeuten, dass sich Frankreich von seinen europäischen Partnern abkoppelt.

Experten zu Frankreich: Beim Ausstieg steigt der Strompreis

Tatsächlich ist Frankreich nach Einschätzung von Experten, darunter der
Präsident des Energiekonzerns Engie , Jean-Pierre Clamadieu, und
der Wirtschaftsprofessor an der Universität Paris Dauphine, Patrice Geoffron,
auf den ständigen Austausch von Strom im europäischen Netz angewiesen, auch wenn
es unter dem Strich mehr exportiert als importiert. Bei einem Ausstieg aus dem
europäischen Strommarkt drohten Stromausfälle und Frankreich müsste massiv in
zusätzliche Kraftwerke investieren, was den Strompreis in die Höhe treibe, sagen
Experten. Außerdem verdient Frankreich mit den Stromexporten tüchtig Geld, es
würde also wenig Sinn haben, diese zu kappen.

Eine Ausnahme von den europäischen Regeln zur Festlegung der Energiepreise
könnte Frankreich theoretisch mit der EU verhandeln; für Portugal und Spanien
gab es so eine Ausnahme während der Energiekrise. Wegen der Bedeutung des
europäischen Strommarkts für Frankreich halten Experten sie aber für
kontraproduktiv. Stiege Frankreich komplett aus dem europäischen Strommarkt aus,
bräche es europäische Verträgen und Abmachungen. Praktisch wäre das eigentlich
nur möglich, wenn Frankreich europäische Abmachungen schlicht nicht mehr
umsetzt. Dies würde Strafmaßnahmen durch Brüssel nach sich ziehen.

Beim europäischen Strommarkt heißt es Geben und Nehmen

Deutschland und auch Frankreich sind sogenannte Stromtransitländer innerhalb der EU. Das bedeutet: Es wird fortlaufend Strom importiert und exportiert und
damit im Staatenbund dahin weitergereicht, wo er benötigt wird. Der gemeinsame
Strommarkt in Europa soll durch die gewollte Zusammenarbeit mit den anderen
Ländern ermöglichen, Geld einzusparen und Emissionen zu senken.

Konkrete Zahlen für Deutschland: Den Daten des Fraunhofer-Instituts für
Solare Energiesysteme (ISE) zufolge lieferte Deutschland in diesem Jahr bis zum
8. Juli rund 26,2 Terawattstunden (TWh) Strom an andere europäische Staaten.
Andererseits erhielt die Bundesrepublik von ihren Nachbarn 38,3 TWh.

Zum Vergleich: Die öffentliche Nettostromerzeugung in Deutschland (also ohne die Eigenversorgung der Industrie) liegt im selben Zeitraum bei rund 234 TWh.
Davon fallen im Saldo knapp fünf Prozent auf Stromimporte.

Zwischen Frankreich und Deutschland geht es Hin und Her

Der Blick auf den Stromaustausch zwischen den Nachbarländern zeigt, dass
Deutschland 2024 bisher mehr Strom aus Frankreich importiert als dorthin
exportiert hat. Den Fraunhofer-Daten zufolge bekam Deutschland bis zum 8. Juli
8,44 TWh aus Frankreich und lieferte dorthin 1,62 TWh. Das macht Frankreich zu
einem der größten, wenn auch nicht dem größten Stromexporteur nach Deutschland
im laufenden Jahr. Knapp an der Spitze steht derzeit Dänemark mit 8,6 TWh, die
zu uns gekommen sind.

Dass es bei der deutsch-französischen Energiezusammenarbeit auch mal
andersherum gehen kann, zeigen Daten, die der Bundestag zitiert: Zwischen Ende
November 2022 und Ende November 2023 exportierte Deutschland demnach 14,2
Terawattstunden Strom nach Frankreich und bekam in umgekehrter Richtung 12
Terawattstunden./evs/DP/mis

--- Von Michael Evers und Marc Fleischmann, dpa ---
Name WKN Börse Kurs Datum/Zeit Diff. Diff. % Geld Brief Erster Schluss
ENGIE S.A. INH. EO 1 A0ER6Q Xetra 14,310 22.07.24 15:46:11 +0,210 +1,49% 14,240 14,265 14,300 14,100
RWE AG INH O.N. 703712 Xetra 33,090 22.07.24 16:06:31 +0,300 +0,91% 33,070 33,090 33,230 32,790
E.ON SE NA O.N. ENAG99 Xetra 12,455 22.07.24 16:05:47 +0,075 +0,61% 12,455 12,460 12,445 12,380

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