02.07.2024 06:32:29 - dpa-AFX: VERMISCHTES: Mama geht Tanzen - und Papa?

NÜRNBERG/WUPPERTAL (dpa-AFX) - Dicht gedrängt tanzen Feiernde in einem
Nachtclub in Nürnberg. Auf ein Zeichen des DJs recken sie die Hände in die Höhe
und singen laut mit. Soweit nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist dagegen die
Uhrzeit: Es ist gerade einmal 20.30 Uhr, und die Party ist bereits ausverkauft.
Ungewöhnlich ist auch, dass nur Frauen da sind - viele davon Mütter mit kleinen
Kindern, aber nicht nur.

"Mama geht Tanzen" heißt die in Nordrhein-Westfalen entstandene Partyreihe,
die in vielen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz Frauen am
frühen Abend für drei Stunden zum Tanzen bringt. Ende ist in der Regel um 23
Uhr, sodass alle noch vor Mitternacht im Bett liegen können und sich am nächsten
Tag nicht übernächtigt durch das Familienprogramm schleppen müssen.

"Mama-Auszeit" statt Windeln wechseln

"Die Uhrzeit finde ich unschlagbar", sagt Steffi, die mit drei Freundinnen
auf der Party in Nürnberg feiert. Die 46-Jährige hat zwei Kinder und ist bereits
das zweite Mal bei "Mama geht Tanzen". "Das ist für mich eine Mama-Auszeit."
Ähnlich sieht es Judith, die zwei Kinder im Alter von 10 und 13 Jahren hat. "Auf
mich wartet morgen noch Mathe und Englisch lernen." Dass keine Männer auf der
Party sind, gefällt ihr besonders. "Ich kann herumlaufen, wie ich möchte - ohne
Freiwild zu sein", sagt Judith mit Blick auf ihr bauchfreies Outfit.

Die Idee zu "Mama geht Tanzen" hatten Anna Schumacher und Andrea Rücker aus
Wuppertal. Beide sind Mütter von kleinen Kindern, die mal wieder feiern gehen
wollten, denen die Discos und Nachtclubs aber zu spät öffneten. "Es hat mich
immer geärgert, dass meine Kinder gerade dann gut schlafen, wenn ich noch zu
Hause sitze und darauf warte, dass etwas aufmacht", erinnert sich Schumacher.
Also organisierten die beiden Freundinnen ihre eigene Party in Wuppertal.

Eine Idee wird zur Bewegung

"Es war nie gedacht, dass es eine Reihe wird oder irgendwie groß", sagt die
28 Jahre alte Schumacher. Doch die Resonanz sei so gut gewesen, dass sie bald
die nächste Party veranstaltet hätten und schließlich über ein Franchise-System
weitere Städte dazu gekommen seien. "Mama geht Tanzen" gibt es Schumacher
zufolge inzwischen in 110 Städten im deutschsprachigen Raum, organisiert von
etwa 30 Frauen.

Früh mit dem Feiern anfangen, damit man früh im Bett liegen kann - das
Konzept kennt man vor allem von Afterwork-Partys. Doch diese finden nur unter
der Woche statt und starten in der Regel am späten Nachmittag oder frühen Abend
- dann, wenn in vielen Familien mit Hausaufgaben, Sport, Musikunterricht,
Abendessen und Ins-Bett-Bringen gerade viel los ist.

Neues Ausgehverhalten

Aber selbst am Wochenende wollen viele Menschen nicht erst nach Mitternacht
in die Disco gehen, um dann bis zum Morgen zu tanzen. Das haben auch viele
Nachtclubs erkannt. "Es gibt ganz viele Sachen, die tagsüber stattfinden", sagt
Lutz Leichsenring von der Clubcommission, dem Netzwerk der Berliner Clubkultur.
"Die Corona-Pandemie hat verstärkt, dass sich die Leute an andere Ausgehrhythmen
gewöhnt haben." So haben ihm zufolge alle größeren Clubs in der Hauptstadt am
Wochenende schon tagsüber geöffnet.

Außerdem gebe es Kinderdisco-Veranstaltungen, wo Eltern tanzen könnten,
während ihre Kinder beschäftigt seien, sagt Leichsenring. Der Augustinerkeller
in München wiederum bietet sonntags Kinderbetreuung an, sodass Eltern den
Biergarten-Besuch in Ruhe genießen können. Veranstaltungen, die schon früh
beginnen, seien im Kommen, bestätigt auch Axel Ballreich, Vorstand des Verbands
der Musikspielstätten Livekomm. "Das spricht alle Leute an, die um 1.00, 2.00
Uhr nachts lieber im Bett liegen wollen." Zum Beispiel auch ältere Leute.

Diskriminierung und alte Rollenbilder?

Doch wieso braucht es ein Extra-Format nur für Mütter? Und was ist mit den
Vätern, die nachts ebenfalls aufstehen, um Windeln zu wechseln oder Fläschchen
zu geben? Im Internet findet sich neben begeisterten Kommentaren zu "Mama geht
Tanzen" deshalb einige Kritik. Manche empfinden es als diskriminierend, dass
Männer ausgeschlossen sind. Andere stoßen sich an dem Namen "Mama geht Tanzen",
weil dieser Frauen zu sehr auf ihre Rolle als Mütter reduziere.

"Uns wird oft vorgeworfen, dass wir ein Rollenbild aus den 1950er Jahren
bedienen", bestätigt Schumacher. Ursprünglich sei die Idee aber gewesen, etwas
für stillende Mütter zu machen, weil sie damals selbst in der Situation gewesen
seien, erläutert sie. "Das hatte nie mit unseren Männern zu tun." Schumacher und
Rücker sind beide berufstätig und haben "Mama geht Tanzen" in ihrer Freizeit
gegründet
- während ihre Männer ihnen den Rücken freihielten, wie Schumacher
erläutert. Das helfe aber nicht, wenn das Baby nach der Brust schreie und anders
nicht zu beruhigen sei.

Komplett ausgeschlossen sind Männer beim "Mama geht Tanzen" nicht. "Sie
dürfen als Begleitung ihrer Partnerin mitkommen und wenn ihnen klar ist, dass es
keine Flirtbörse ist", sagt Schumacher. Dass Männer trotzdem die Ausnahme auf
den Mama-Partys bleiben, ist wenig überraschend. "Wir feiern zu 99 Prozent unter
Frauen", sagt Schumacher. Wie wäre es stattdessen mit einer Party nur für Papas
oder für Eltern allgemein? Kein Thema für die beiden Gründerinnen: "Das können
andere machen", sagt Schumacher./igl/DP/zb

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