01.07.2024 15:38:11 - dpa-AFX: ROUNDUP: Inflation fällt auf 2,2 Prozent - Dienstleistungen teurer

(neu: mehr Details und Hintergrund)

WIESBADEN (dpa-AFX) - Die Inflation in Deutschland sinkt spürbar. Im Juni
lagen die Verbraucherpreise um 2,2 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats -
nach 2,4 Prozent im Mai, wie das Statistische Bundesamt auf Basis vorläufiger
Zahlen in Wiesbaden mitteilt. Nach Einschätzung von Ökonomen dürfte sich der
Trend zu stabilen Preisen im Sommer fortsetzen: Sie erwarten schon bald Raten
unter zwei Prozent. Die Fußball-Europameisterschaft hat demnach nur einen
geringen Einfluss auf die Verbraucherpreise.

"Die Inflation geht in die Sommerpause", kommentierte Ulrich Kate,
Chefvolkswirt der DekaBank. Der Ökonom Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen
Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) nannte den Anstieg im
Mai einen Ausreißer. "Der Abwärtstrend bei der Inflation ist intakt und hat sich
im Juni nun wieder durchgesetzt."

Die viel umjubelte Fußball-EM hat nach Einschätzung der Volkswirtin Ulrike
Kastens von der Fondsgesellschaft DWS nur einen sehr geringen Einfluss auf die
Teuerung, etwa mit steigenden Preisen für Hotelübernachtungen.

Während sich vor allem Dienstleistungen den Statistikern zufolge im Juni
kräftig verteuerten, wurde Energie binnen Jahresfrist um 2,1 Prozent günstiger.
Bei den Nahrungsmitteln gab es nach kräftigen Preisaufschlägen nur noch moderate
Zuwächse (plus 1,1 Prozent). Die Inflationsrate ohne die schwankungsanfälligen
Preise für Nahrungsmittel und Energie - die Kerninflation - beträgt demnach 2,9
Prozent. Das war etwas weniger als im Vormonat Mai.

Ifo erwartet weiteres Abebben der Inflation

Das Münchner Ifo-Institut erwartet nach einer aktuellen Umfrage unter
Unternehmen zu ihren Preisplänen, dass die Inflation weiter zurückgeht. Die
Inflationsrate dürfte ihren Rückgang langsam fortsetzen und "im August erstmals
seit März 2021 unter die Zwei-Prozent-Marke sinken", meint Ifo-Konjunkturchef
Timo Wollmershäuser. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt die Deutsche Bank
angesichts sinkender Energiepreise und einer "Beruhigung bei der
Nahrungsmittelinflation". Allerdings bleibe die Kerninflation mit 2,9 Prozent
recht hoch, schreibt Volkswirt Sebastian Becker.

Zwar sind die extrem hohen Inflationsraten der vergangenen beiden Jahre
Geschichte. Im Jahresschnitt erwarteten führende Wirtschaftsforschungsinstitute
eine deutliche Abschwächung der Inflation in Deutschland auf 2,3 Prozent - nach
5,9 Prozent 2023. Doch zuletzt verlief der Rückgang zäh. Noch im Mai hatte die
Inflation erstmals in diesem Jahr wieder an Tempo gewonnen - vor allem wegen
teurerer Dienstleistungen. Bereits im April war der Rückgang der Inflation bei
einer Rate von 2,2 Prozent ins Stocken geraten. Volkswirte verwiesen auf
gestiegene Löhne, die zu Preiserhöhungen von Unternehmen führen können.

Auch spüren Verbraucher beim Einkaufen nach wie vor kräftig gestiegene
Preise. Nahrungsmittel haben sich in den vergangenen Jahren im Schnitt um mehr
als 30 Prozent verteuert, zeigt eine Sonderauswertung des Statistischen
Bundesamtes für den Zeitraum von Januar 2020 bis Mai 2024. Sie lag der
"Wirtschaftswoche" vor.

Hohe Tarifabschlüsse und steigende Renten stärken Kaufkraft

Sinkt die Inflation in Deutschland wie auch im Euroraum insgesamt, gäbe das
der Europäischen Zentralbank im Jahresverlauf Spielraum für weitere
Leitzinssenkungen. Sie hat im Juni erstmals seit der Inflationswelle im
Währungsraum die Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte gesenkt. EZB-Präsidentin
Christine Lagarde dämpfte zugleich die Erwartung an weitere Zinsschritte. "Das
Inflationsproblem ist noch nicht gelöst, die EZB kann sich noch nicht
entspannen", meint Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Höhere Teuerungsraten schwächen die Kaufkraft von Verbraucherinnen und
Verbrauchern. Das bremst den privaten Konsum, der eine wichtige Stütze der
Konjunktur in Deutschland ist. Gewerkschaften versuchen, die Preissprünge mit
hohen Tarifabschlüssen auszugleichen. Auch steigen die Renten deutlich: Die
Bezüge für mehr als 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland legen
zum 1. Juli um 4,57 Prozent zu.

Inflationswelle nach Ukraine-Krieg belastet Haushalte

Auf längere Sicht aber ist die Kaufkraft der Verbraucher angesichts der
enormen Inflation der vergangenen Jahre gesunken. Zwar wuchs das mittlere
Haushaltseinkommen nach Angaben des Statistischen Bundesamts von 2022 auf 2023
um 5,1 Prozent - die Teuerungsrate lag aber bei 5,9 Prozent. Das zeigen jüngste
Daten, die das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei der Behörde abgefragt hat.
Vergleicht man die Jahre 2021 und 2023, ist die Lücke noch größer. "Die
Deutschen sind deutlich ärmer geworden", sagt Wagenknecht.

Die Inflation hatte sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Anfang
2022 rasant beschleunigt, weil Energie und in der Folge auch Produktion und
importierte Waren viel teurer wurden. Die Europäische Union hatte Ölimporte aus
Russland eingeschränkt und weitere Sanktionen verhängt. Moskau wiederum stoppte
den Gasexport nach Deutschland über die Nord-Stream-Pipelines./als/ceb/DP/jha

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