11.07.2024 16:11:16 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Schicksalstage in Washington: Biden verliert an Rückhalt

(neu: Die Biden-Pressekonferenz wurde um eine Stunde auf 18.30 Uhr (EST)
verschoben. Am Ende des zweiten Absatzes wurde daher angepasst, dass die PK nun
in der deutschen Nacht zu Freitag beginnt - und nicht mehr Donnerstag.)

WASHINGTON (dpa-AFX) - Der Gegenwind für Joe Biden in der Debatte um seine
Präsidentschaftskandidatur wird immer stärker. Der US-Präsident verliert in der
Demokratischen Partei und bei Spendern weiter an Rückhalt. Einer Umfrage zufolge
sprechen sich 56 Prozent der befragten Parteianhänger dafür aus, dass der
81-Jährige sich aus dem Präsidentschaftsrennen zurückzieht. Die demokratische
Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi könnte mit ihrer subtilen Distanzierung von
Biden die Tür für einen solchen Rückzug geöffnet haben.

Die Angst geht um

Biden kämpft derzeit darum, seine Kandidatur für die Präsidentenwahl im
November zu retten. Wegen seines Alters wird in den USA infrage gestellt, ob
Biden der richtige Präsidentschaftskandidat der Demokraten ist. Biden muss sich
seit seinem katastrophalen Auftritt beim TV-Duell gegen seinen republikanischen
Heraus forder Donald Trump (78) Fragen zu seiner geistigen Fitness gefallen
lassen. Auf Kritik reagiert er jedoch trotzig. Einen Ausstieg aus dem Rennen
schließt er bisher vehement aus. Der Härtetest dürfte für ihn die
Abschlusspressekonferenz des Nato-Gipfels in Washington in der deutschen Nacht
zu Freitag sein.

Bisher ist eine Rebellion gegen den 81-Jährigen in seiner Partei
ausgeblieben. Aber es vergeht kein Tag, an dem sich nicht weitere Demokraten
oder Unterstützer mit Zweifeln an Bidens Kandidatur zu Wort melden. Die
Demokraten befürchten, dass die Republikaner nach der Wahl im November im Weißen
Haus und im Kongress die Kontrolle erlangen könnten. Denn neben dem
Präsidentenamt werden auch viele Sitze im Parlament neu vergeben. Das gesamte
Repräsentantenhaus wird neu gewählt, im Senat steht ein Drittel der Sitze zur
Wahl.

Und so sind es auch vor allem demokratische Abgeordnete in umkämpften
Wahlkreisen, die sich offen gegen Biden ausgesprochen haben. Sie befürchten,
dass die schwindende Unterstützung für den US-Präsidenten auch sie mit in den
Abgrund reißen könnte. Doch Widerstand kommt nicht nur aus Washington. Wer sind
die Biden-Rebellen?

Die Gegner aus der Politik

Noch hat sich keine kritische Masse gegen Biden gestellt. Öffentlich haben
ihn gut zehn Parlamentarier zum Rückzug aufgefordert. Doch schwerer wiegt, was
die Biden-Vertraute und mächtige Demokratin Pelosi in einem TV-Interview gesagt
hat. In der Sendung "Morning Joe", angeblich Bidens liebstes politisches
Frühstücksfernsehen, sagte die 84-Jährige am Mittwoch: "Es liegt am Präsidenten
zu entscheiden, ob er kandidiert." Sie fügte hinzu: "Wir alle ermutigen ihn,
diese Entscheidung zu treffen. Die Zeit wird knapp."

Auf den Hinweis des Moderators, dass Biden sich ja offensichtlich schon
entschieden habe, im Rennen zu bleiben, reagierte Pelosi ausweichend. Es ist
höchst unwahrscheinlich, dass die Profi-Politikerin sich einfach nur unglücklich
ausgedrückt hat. Sie dürfte genau wissen, was sie tut - und ihr Wort hat in der
Partei enormes Gewicht.

Hinzu kommen Berichte, dass sich auch der demokratische Mehrheitsführer im
Senat, Chuck Schumer, offen für eine Biden-Alternative zeigt. Wenn politische
Schwergewichte wie Pelosi und Schumer das Vertrauen in Biden verlieren, steht
Biden mit dem Rücken zur Wand.

Die finanzkräftigen Gegner

Hollywood gilt generell als eher liberal - kein Wunder also, dass Biden dort deutlich mehr Unterstützung hat als Trump. Filmstars zählen zu den bedeutenden
Spendern der Partei. Mit der Gewalt eines Donnerschlags schlug daher eine
Abrechnung von Hollywoodstar George Clooney in der "New York Times" ein. Der
63-Jährige forderte den US-Präsidenten unverblümt auf, sich aus dem Rennen
zurückzuziehen. Eine Schlacht, die er nicht gewinnen könne, sei der Kampf gegen
die Zeit. Erfolgsregisseur und Produzent Rob Reiner ("Harry und Sally") schloss
sich Clooney an und schrieb: "Joe Biden muss Platz machen."

Vergangene Woche gab es bereits Berichte, dass eine wohlhabende Disney
-Erbin ihre finanzielle Unterstützung für die Partei so lange
zurückhalten wolle, bis Biden sich aus dem Rennen um die
Präsidentschaftskandidatur zurückzieht. Die "New York Times" berichtete, dass
eine wachsende Zahl von Großspendern einen Ersatzkandidaten fordert. Biden
versucht hingegen weiter, auf Spendengalas für sich zu werben.

Die Umfragen

Biden und sein Team argumentieren immer wieder, dass die Debatte nichts an
den Umfragen geändert habe. Das stimmt so nicht ganz. Biden lag bereits vor der
Debatte in vielen Befragungen leicht hinter Trump. Seit der Debatte hat sich der
Abstand in einigen Umfragen etwas vergrößert. Er liegt aber häufig noch im
Bereich der Fehlertoleranz. Eine aktuelle Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts Ipsos sieht Trump und Biden mit jeweils 46 Prozent
gleichauf. Der Befragung zufolge sind aber 67 Prozent der US-Amerikaner und 56
Prozent der Anhänger der Demokraten der Auffassung, dass Biden das Handtuch
werfen sollte.

Nationale Umfragen geben zwar einen Trend wieder. Wichtiger sind aber die
Zahlen aus den umkämpften Bundesstaaten, die weder den Republikanern noch den
Demokraten fest zugerechnet werden. Die sogenannten Swing States sind
entscheidend für die Wahl. Hier konnte Trump Befragungen zufolge seit der
Debatte seinen Vorsprung ausbauen.

Mit geballter Faust

Biden dürfte sich diese Zahlen genau anschauen. Doch welche Konsequenzen er
daraus zieht, liegt an ihm. Er hat bei den Vorwahlen die notwendigen
Delegiertenstimmen für eine Kandidatur gewonnen. Beim Parteitag im August wird
der Kandidat dann offiziell gekürt. Deshalb müsste Biden sich freiwillig
zurückziehen. Bidens Team stellt den Politik-Veteranen als Kämpfer dar, der
seinen Gegnern am Ende noch immer gezeigt habe, dass sie falschlägen.

Das ist auch die aktuelle Strategie Bidens. Die Frage einer Journalistin, ob Nancy Pelosi noch hinter seiner Präsidentschaftskandidatur stehe, konterte Biden
beim Nato-Gipfel mit einer geballten Faust.

Eigentlich sollte der Fokus des US-Präsidenten auf dem 75. Jubiläum des
Gipfels des Verteidigungsbündnisses liegen, der diese Woche in Washington
stattfindet. Doch das wichtige Treffen wird überschattet von der Debatte um
Bidens Kandidatur.

Sollte Biden bei der Nato-Abschlusspressekonferenz patzen, dürfte ihn das
weiter unter Druck setzen. Denn der 81-Jährige verspricht sich besonders dann,
wenn er frei sprechen muss oder spontan auf Fragen antwortet. Bei einer
Pressekonferenz kann ihm der Teleprompter nicht helfen. CNN schrieb von einer
Pressekonferenz historischen Ausmaßes.

Für Montag hat Biden außerdem ein weiteres TV-Interview angekündigt, um zu
zeigen, dass er in Situationen ohne Prompter bestehen kann. Am Montagabend
(deutsche Nacht zu Dienstag) will er sich den Fragen von NBC-Journalist Lester
Holt stellen. Vergangene Woche hatte Biden dem Sender ABC sein erstes Interview
nach der Debatte gegeben und betont, dass nur Gott ihn zum Rückzug bewegen
könne./nau/DP/men

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