14.07.2024 11:35:44 - dpa-AFX: HINTERGRUND/Eskalation im US-Wahlkampf: Versuchtes Attentat auf Trump

BUTLER/WASHINGTON (dpa-AFX) - Donald Trump ist mitten im Satz, als die
ersten Schüsse fallen. Der Ex-US-Präsident steht auf einer Bühne bei einem
Wahlkampfauftritt in der Kleinstadt Butler im Bundesstaat Pennsylvania. Er fasst
sich ans rechte Ohr, duckt sich dann zu Boden hinter sein Pult. Sofort stürmen
mehrere Secret-Service-Agenten zu ihm, werfen sich über den Republikaner. Im
Publikum bricht Panik aus. Menschen schreien, werfen sich ebenfalls zu Boden.
Noch ein Schuss. Wieder tönen laute Schreie durch die Zuschauerränge.

Sekunden später richten die Sicherheitsleute Trump hinter dem Pult auf. Der
78-Jährige blutet am rechten Ohr, die Haare wirr, seine rote Kappe nicht mehr
auf dem Kopf. "Lasst mich meine Schuhe anziehen", sagt Trump mehrfach. "Sir, wir
müssen zu den Autos", entgegnet einer der Leibwächter, die einen Ring um ihn
bilden. Die Agenten wollen sich mit ihm in Bewegung setzen, doch Trump ruft
dazwischen: "Wartet, wartet, wartet, wartet." Dann reckt er aus dem Ring der
Sicherheitsleute heraus seine Faust in die Höhe, schlägt sie dreimal nach vorne
in die Luft, formt dazu nicht vernehmbar mit seinen Lippen ein Wort, das
Anhänger später so interpretieren: "Kämpft!"

Das Foto von Trump mit Blut im Gesicht und der geballten Faust in der Luft
geht um die Welt. Das versuchte Attentat auf den früheren Präsidenten und
aktuellen republikanischen Präsidentschaftsbewerber gibt dem US-Wahljahr, das
ohnehin eines ist wie keines zuvor, eine neue dramatische Wendung. Es verschärft
die Spannungen in einem ohnehin tief gespaltenen Amerika und wirft in ganz neuem
Ausmaß Ängste vor einer Spirale politischer Gewalt auf.

"Die Kugel bohrte sich durch die Haut"

Nach der Nachricht von den ersten Schüssen auf Trump überschlagen sich die
Ereignisse. Am Ende ist der mutmaßliche Schütze tot, ebenso wie ein Zuschauer.
Zwei weitere Menschen im Publikum werden schwer verletzt. Trump dagegen wird
schnell in Sicherheit gebracht und kommt mit einer leichten Verletzung davon.
"Ich wurde von einer Kugel getroffen, die den oberen Teil meines rechten Ohrs
durchschlug", schreibt er nach der Attacke auf der von ihm mitbegründeten
Plattform Truth Social. "Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, denn ich
hörte ein zischendes Geräusch, Schüsse und spürte sofort, wie sich die Kugel
durch die Haut bohrte." Es habe stark geblutet, "und da wurde mir klar, was los
war". Sein Team versichert, es gehe ihm gut.

Trumps Wahlkampfkampagne veröffentlicht Stunden nach der Attacke auf der
Plattform X auch ein Video, in dem der Präsidentschaftsbewerber in einem
frischen Anzug, wohl frisiert aus seinem Privatflugzeug steigt. Dazu schreibt
seine Vize-Kommunikationsdirektorin: "Stark und unverwüstlich. Er wird nie
aufhören, für Amerika zu kämpfen." Die Botschaft der Trump-Leute: Dieser Mann
ist unbesiegbar und durch rein gar nichts unterzukriegen. Und das nur zwei Tage,
bevor die Republikaner in Milwaukee zu ihrem Krönungsparteitag zusammenkommen,
um Trump offiziell als ihren Präsidentschaftskandidaten zu nominieren.

Angst vor mehr Chaos und mehr Gewalt

Die Attacke löst in den USA und darüber hinaus einen Schock aus. Politiker
beider Parteien in den USA, amerikanische Ex-Präsidenten, Regierungschefs
anderer Länder - alle äußern sich entsetzt. Sie verurteilen den Angriff - und
einige äußern Sorge, was dem Land nun bevorsteht.

Schon jetzt ist die Stimmung in den USA fragil. Teile der Gesellschaft
stehen einander feindlich gegenüber, Drohungen gegen Politiker und andere
Offizielle nehmen deutlich zu. Rund um die jüngste Präsidentenwahl 2020 kam es
zu einem beispiellosen Gewaltausbruch, da Trump seine Niederlage gegen den
Demokraten Joe Biden nicht eingestand, sondern stattdessen seine Anhänger
aufhetzte, bis diese schließlich gewaltsam das Kapitol stürmten. Damals kamen
mehrere Menschen ums Leben. Es geht seit langem Angst um, dass es rund um diese
Wahl im November erneut zu Gewalt und Chaos kommen könnte. Der Attentatsversuch
gegen Trump bestätigt diese Befürchtungen nun auf düstere Weise - und könnte nur
der Anfang von mehr sein.

Zündeleien aus dem Trump-Lager

Der Trump-Getreue J. D. Vance, der als möglicher Vizepräsidentenkandidat
gehandelt wird, etwa beginnt sofort zu hetzen. Auf der Plattform X macht der
republikanische Senator Biden persönlich für die Attacke auf Trump
verantwortlich. Bidens Wahlkampagne sei komplett darauf ausgerichtet, Trump als
autoritären Faschisten darzustellen, der um jeden Preis gestoppt werden müsse,
schreibt er da. "Diese Rhetorik führte direkt zum versuchten Attentat auf
Präsident Trump."

Was bedeutet die Attacke für den Wahlkampf?

Trump dürfte versuchen, den Schusswaffenangriff systematisch für seine
Zwecke zu nutzen. Seit jeher inszeniert er sich als Märtyrer und als einen, den
seine politischen Gegner mit allen Mitteln versuchen, aus dem Weg zu schaffen.
Schon die vier Strafverfahren gegen ihn setzte er erfolgreich ein, um seine
Anhänger zu mobilisieren und Spenden zu sammeln. Wenige Stunden nach den
Schüssen in Butler verschickt sein Team dann die erste Wahlkampf-SMS mit den
Worten: "Ich werde nie aufgeben" - und einem direkten Link zur Spenden-Webseite.
Wie kaum etwas anderes dürfte diese Attacke gegen Trump in seinem Lager eine
Jetzt-erst-recht-Mentalität befeuern. Trump liegt in Umfragen ohnehin vor einem
strauchelnden Biden. Die Attacke könnte dem Republikaner einen weiteren Schub an
Wähler-Solidarität bringen.

Die Biden-Wahlkampagne muss sich dagegen erst mal neu sortieren. Scharfe
politische Attacken gegen einen Gegner, der gerade Ziel eines Attentatsversuches
geworden ist, verbieten sich. US-Medien berichten, das Wahlkampfteam des
Demokraten habe seine gesamte ausgehende Kommunikation vorerst unterbrochen und
wolle die Ausstrahlung von Wahlwerbespots "so schnell wie möglich" stoppen. Es
ist nicht leicht, nach einer Attacke dieser Art die richtige Tonlage im
Wahlkampf zu finden.

Und was wird aus der Diskussion um Biden?

Biden hat eigentlich ganz andere Sorgen im Moment. Bis zu den Schüssen auf
Trump sah es so aus, als könnte der Demokrat auf Druck seiner Partei hin jeden
Moment hinschmeißen im Rennen gegen Trump. Der 81-Jährige steht wegen seiner
mentalen Fitness schwer in der Kritik und hat es mit einer parteiinternen
Rebellion zu tun. Doch das rückt angesichts der Attacke auf Trump nun vorerst in
den Hintergrund./jac/DP/he

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