09.07.2024 17:48:02 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: BGH urteilt zu Zinsen für Prämiensparverträge - Fragen & Antworten

(neu: Fragen & Antworten nach Urteil aktualisiert.)

KARLSRUHE (dpa-AFX) - Einst Verkaufsschlager - nun Ärgernis: Seit Jahren
gibt es Streit um Prämiensparverträge, die Sparkassen und Volksbanken mit
Hunderttausenden Kunden abschlossen. Dass Geldhäuser in vielen Fällen die
Zinssätze einseitig zu ihren Gunsten ändern konnten, hat der Bundesgerichtshof
(BGH) bereits vor 20 Jahren für rechtswidrig erklärt. Nicht höchstrichterlich
geklärt war lange die Frage, wie die Zinsen für diese Produkte zu berechnen
sind. Der BGH hat nun in einem Urteil erstmals einen Referenzzins für die
Nachberechnung der Zinsen bestätigt.

Was ist ein Prämiensparvertrag?

Sparerinnen und Sparer erhalten bei diesem Produkt zusätzlich zum variablen
Zins eine Prämie, die meist nach Vertragslaufzeit gestaffelt ist. Je länger
regelmäßige Sparbeiträge eingehen, umso höher fällt die Prämie aus. Solche
Sparverträge wurden in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre vertrieben - vor
allem von Sparkassen ("Vorsorgesparen", "Vermögensplan"), aber auch von Volks-
und Raiffeisenbanken ("Bonusplan", "VRZukunft").

Warum sind Prämiensparverträge umstritten?

In vielen dieser Verträge gibt es Klauseln, die Geldhäusern einseitig das
Recht einräumen, die zugesicherte Verzinsung zu ändern - etwa: "Der jeweils
gültige Zinssatz wird durch Aushang bekanntgegeben." Die Bank konnte den Zins so
zum eigenen Vorteil anpassen. Anhand der Prüfung Tausender Verträge kamen
Verbraucherzentralen zu dem Ergebnis, dass Sparer deswegen im Schnitt etwa 4.000
Euro zu wenig Zinsen erhalten haben.

Wie haben Gerichte bisher entschieden?

Seit mehr als zwei Jahrzehnten beschäftigten sich Gerichte mit
Prämiensparverträgen und deren Verzinsung. Der BGH entschied bereits 2004, dass
Vertragsklauseln rechtswidrig waren, mit denen sich Sparkassen eine Senkung
ihrer Zinsen nach Belieben erlaubten. Seither wird gestritten, wie hoch die
Verzinsung hätte sein sollen. 2021 bestätigte der BGH frühere Urteile, wonach
viele Altverträge von Sparkassen unzulässige Klauseln enthalten.

Wie sollen die Zinsen berechnet werden?

Im April 2022 legte das Oberlandesgericht Dresden in einem Einzelfall
erstmals einen Referenzzins fürs Prämiensparen fest: die Umlaufrendite
börsennotierter Bundeswertpapiere mit 8 bis 15 Jahren Restlaufzeit. Zugleich
sprach sich das OLG gegen die Nutzung des sogenannten gleitenden Durchschnitts
bei der Zinsberechnung aus, der anhand aktueller und historischer Geld- und
Kapitalmarktzinsen ermittelt wird. Es folgten Anfang 2023 vergleichbare Urteile
des OLG Naumburg und des OLG Dresden in Massenverfahren, die der BGH nun
bestätigte.

Was hatten Verbraucherschützer gefordert?

Der BGH hat am Dienstag zu einer Klage der Verbraucherzentrale Sachsen und
dem Bundesverband der Verbraucherzentralen gegen zwei Sparkassen entschieden,
die entsprechende Prämiensparverträge mit Kundinnen und Kunden abgeschlossen
hatten. Die Verbraucherschützer wollten unter anderem vom BGH feststellen
lassen, dass die Zinsen auf Basis der letzten zehn Jahre von Umlaufrenditen
inländischer Hypothekenpfandbriefe mit einer garantierten Restlaufzeit von 10
Jahren berechnet werden müssten. Sie forderten zudem gleitende
Durchschnittswerte. Der BGH lehnte das wie schon die Vorinstanzen ab.

Wie viele Kunden sind betroffen?

Im Jahr 2021 gab es etwa 1,1 Millionen Prämiensparverträge in Deutschland,
aktuellere Zahlen liegen der Finanzaufsicht Bafin nicht vor. Seither dürfte die
Zahl deutlich gesunken sein, weil Institute - soweit rechtlich möglich -
teilweise ganze Vertragsjahrgänge kündigten. Bei laufenden Verträgen fließen
Zinsnachzahlungen nicht automatisch. Verbraucherzentralen machen seit Jahren mit
Musterfeststellungsklagen Druck. Allein die Verbraucherzentrale Sachsen führt
neun solcher Verfahren, denen sich 6000 Verbraucher angeschlossen haben.

Dürfen Geldhäuser Prämiensparverträge kündigen?

"Je länger Sie sparen, desto höher steigt Ihre Prämie", so warben einst
Sparkassen für Produkte wie das "S-Prämiensparen flexibel". Und versprachen:
"Sie alleine bestimmen, wie lange Sie sparen wollen." Doch in der
Niedrigzinsphase, die erst im Sommer 2022 endete, versuchten viele Institute,
sich der Altverträge zu entledigen. Denn weil viele Sparerinnen und Sparer schon
seit Jahren einzahlen, stehen ihnen vergleichsweise hohe jährliche Prämien zu.
Das war für die Institute gerade in Zeiten von Null- und Negativzinsen teuer.

Auch der Streit um Kündigungen von Prämiensparverträgen ging bis vor den
BGH. Der entschied im Mai 2019: "Der Sparvertrag darf nicht vor Erreichen der
höchsten Prämienstufe gekündigt werden." Sparer müssen die maximal mögliche
Prämie also mindestens einmal mitnehmen dürfen. Danach läuft der Vertrag zwar
weiter, kann aber jederzeit einseitig gekündigt werden.

Wie können Verbraucher ihre Rechte durchsetzen?

Das Urteil des BGH gibt eine allgemeine Tendenz vor. Durchsetzen müssen es
die einzelnen Betroffenen jeweils individuell bei ihrer Bank. "Sparkassen
müssten nicht zwingend reagieren, sondern könnten auf Individualklagen warten",
sagt der Referatsleiter Recht bei der Verbraucherzentrale Sachsen, Michael
Hummel. "Ich halte es jedoch für wenig wahrscheinlich, dass die Institute das
aussitzen, denn es stehen schon diverse Rechtsdienstleister in den Startlöchern,
um die Ansprüche der Verbraucher durchzusetzen."

Verjähren Ansprüche irgendwann?

Wer sich keiner Musterklage angeschlossen hat, kann seine Bank unter
Berufung auf bereits ergangene BGH-Urteile auffordern, die Zinsen des
Sparvertrages neu zu berechnen. Im Fall eines gekündigten Vertrages müssen
Ansprüche nach vorherrschender Rechtsmeinung aber binnen drei Jahren angemeldet
werden, damit sie nicht verjähren./ben/DP/men

--- Von Jörn Bender und Jacqueline Melcher, dpa ---
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COMMERZBANK AG CBK100 Xetra 15,535 23.07.24 16:39:13 -0,045 -0,29% 15,530 15,535 15,560 15,580

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