25.06.2024 07:26:15 - dpa-AFX: Alkohol-Gewohnheiten sind tief in Kulturen verwurzelt

KOPENHAGEN (dpa-AFX) - Ob jemand täglich zu einem Glas Rotwein greift oder
sich fast jedes Wochenende mit Schnaps in einen Vollrausch trinkt, hängt auch
mit dem Wohnort zusammen. Der Umgang mit verschiedenen Arten von Alkohol ist
tatsächlich so tief in der Kultur verankert, dass er sich über einen Zeitraum
von 20 Jahren in einem Land kaum ändert: Zu diesem Schluss kommt eine Studie zu
Trinkgewohnheiten in Europa, die im Fachblatt "Addiction" erschienen ist.

Deutlich wird in der Analyse von Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch, wie gefährlich das Alkoholtrinken ist: In jedem der untersuchten Länder -
neben den Ländern der Europäischen Union waren das Island, Norwegen und die
Ukraine - wurden zahlreiche Todesfälle und verlorene Lebensjahre mit Alkohol in
Verbindung gebracht. Die Tabellen werden angeführt von der Ukraine, dann folgen
Litauen, Lettland und Estland in verschiedenen Reihenfolgen.

Wein-Länder, Schnaps-Länder, Bier-Länder

Besonders viel Schaden richtet Alkohol demnach in den Ländern in Osteuropa
an, in denen häufig Spirituosen getrunken werden. Deutlich weniger gilt das für
Länder in Süd- und Westeuropa, die von Weinkonsum geprägt sind. Co-Autor Jürgen
Rehm, der unter anderem in Toronto in Kanada und am Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf forscht, warnt aber vor dem Trugschluss, Wein sei gut und
Schnaps sei schlecht.

"Zehn Gramm Alkohol sind im Prinzip zehn Gramm Alkohol, egal ob das jemand
als Schnaps, Wein oder Bier trinkt", meint Rehm. Der Hauptgrund für die großen
Unterschiede seien die unterschiedlichen Lebenserwartungen in den europäischen
Ländern. "Die alkoholbedingten Schäden setzen auf die allgemeine Mortalität auf.
Das heißt: Ein Liter reiner Alkohol in unterschiedlichen Situationen führt zu
unterschiedlichen Schäden."

So sei Alkohol ein wichtiger Faktor bei Tuberkulose-Toten, denn Alkohol
schädige sowohl das angeborene als auch das erworbene Immunsystem. Doch in einem
Land wie Deutschland zum Beispiel spiele Tuberkulose kaum eine Rolle. Rehm
schlussfolgert: "Wenn die Lebenssituation in den untersuchten Ländern sehr viel
ähnlicher wäre, dann wären auch die Zahlen der alkoholbedingten Toten sehr viel
ähnlicher."

Gesamtmenge reinen Alkohols nicht sehr verschieden

Insgesamt identifizierte das Forschungsteam sechs verschiedene Arten von
Trinkgewohnheiten in Europa. Dabei unterschied sich die Gesamtmenge des puren
Alkohols in den Gruppen nicht so sehr: Sie lag zwischen 9,2 Litern in den vor
allem Wein trinkenden südeuropäischen Ländern wie Frankreich, Italien und
Griechenland und 12,0 Litern in den osteuropäischen Ländern wie Estland,
Lettland und Litauen, in denen sowohl Hochprozentiges als auch andere
alkoholische Getränke konsumiert werden.

Deutschland gehört der Studie zufolge zu den zentral- und westeuropäischen
Ländern, die durch viel Biertrinken und vergleichsweise wenig konsumierte
Spirituosen definiert sind. Außerdem gibt es noch die Länder mit viel Bier, viel
Schnaps und häufigem Rauschtrinken, dazu gehören Kroatien, Tschechien und Polen.
In den Ländern der fünften Kategorie gibt es zwar viele Anti-Alkoholiker, aber
auch viel Hochprozentiges, dazu gehöre die Ukraine und Bulgarien. Zuletzt wird
in der Studie noch eine Gruppe angeführt, in denen besonders viele Menschen
Alkohol trinken und das häufig bis in den Rausch: Finnland, Island und Irland
gehören dazu.

Tief in der Kultur verwurzelt - doch Änderungen sind möglich

Diese Länder-Gruppen seien in den untersuchten Jahren 2000, 2010, 2015 und
2019 größtenteils stabil gewesen, schreibt das internationale Forschungsteam.
"Europa ist nach wie vor eine Region mit deutlich ausgeprägten
Trinkgewohnheiten, die tief in der Kultur verwurzelt zu sein scheinen und daher
schwer zu ändern sind."

Eine Sache sei allerdings auffällig gewesen: Im Jahr 2000 habe es eine
zusätzliche Gruppe gegeben, in der relativ wenig Alkohol getrunken wurde - und
die später wieder verschwand. Vier dieser Länder - Norwegen, Polen, Island und
Schweden - hätten damals die striktesten Alkoholbeschränkungen gehabt, wie aus
einer Analyse der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung hervorgehe. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 hätten alle vier
Länder ihre Beschränkungen gelockert.

Da die Trinkgewohnheiten nach wie vor stark mit der Krankheits- und
Sterblichkeitslast verbunden sind, kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Wege
gefunden werden sollten, um die erlernten Muster zu ändern. "Alkoholpolitische
Maßnahmen für diesen Wandel sind vorhanden und sollten von allen europäischen
Ländern in Betracht gezogen werden."/dd/DP/tih
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