16.07.2024 08:30:06 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Rien ne va plus - Droht Frankreich politischer Stillstand?

PARIS (dpa-AFX) - Nichts geht mehr in Frankreich, zumindest in der Politik.
Vor dem Beginn der Olympischen Spiele und der politischen Sommerpause steht das
wichtige Nachbarland vorerst ohne schlagkräftige Regierung da. Denn der gewagte
Einsatz von Präsident Emmanuel Macron, mit vorgezogenen Wahlen endlich für klare
Machtverhältnisse im Parlament zu sorgen, hat ihm nicht den erhofften Gewinn
beschert, vorerst zumindest.

Dabei hatte am Abend der Parlamentswahl vor gut einer Woche alles noch ganz
einfach ausgesehen. Macrons Mitte-Lager hatte eine Niederlage kassiert, die
zunächst als Favoriten gehandelten Rechtsnationalen von Marine Le Pen waren auf
Rang drei verwiesen worden und das siegreiche neue Linksbündnis hatte auch ohne
absolute Mehrheit gefordert, vom Präsidenten mit der Bildung einer neuen
Regierung beauftragt zu werden.

Bemühungen um Koalition erfolglos

Wenn die noch amtierende Regierung an diesem Dienstag unter Vorsitz von
Macron im Élyséepalast zusammenkommt, deutet vieles auf Stillstand hin in der
französischen Politik. Denn weder dem Linksbündnis noch Macrons Lager gelang es
in der zurückliegenden Woche, mit weiteren Partnern eine tragfähige
Regierungskoalition zu schmieden.

Stattdessen waren die letzten Tage in der Pariser Politik von Taktieren,
Feilschen und Tauziehen geprägt. Dabei wurden Mehrheiten abgetastet und
gleichzeitig ausgelotet, wie man den Gegner blockieren kann.

Macron, der sonst die Fäden fest in der Hand hält, kündigte an, mit der
Ernennung eines neuen Premierministers noch zu warten. Er rief die Parteien zur
Bildung einer großen Koalition auf.

Linksbündnis vor möglichem Bruch

Und dann trat am Montag das ein, worauf Macron vielleicht schon früher
gesetzt hatte - die Rivalitäten innerhalb der Linken drohen, zu einem Bruch des
neuen Bündnisses zu führen. Im Kräftemessen mit den Sozialisten über das
Bestimmen eines Kandidaten setzte die Linkspartei die Beratungen über die
Bildung einer Regierung aus.

Solange die Sozialisten auf ihren eigenen Kandidaten bestünden und ein Veto
gegen Bewerber der Linkspartei einlegten, blieben die Beratungen über eine
Regierungsbildung ausgesetzt, teilte die Linkspartei La France insoumise mit.
Sie warf den Sozialisten "politische Blockade" vor.

"Genug der Manipulationen", erklärte Linksparteigründer und Anführer
Jean-Luc Mélenchon. Solange man sich nicht auf gemeinsame Kandidaturen für
Spitzenposten im Parlament verständigt habe, werde die Linkspartei "keine
Diskussionen über irgendetwas anderes" wieder aufnehmen.

Spekuliert wird, dass die Sozialisten möglicherweise ohne das übrige
Linksbündnis gemeinsame Sache mit Macron machen wollen. Der Wunsch im
Regierungslager ist vorhanden.

Mélenchon spekuliert auf Macht

Das Linksbündnis, dem außerdem Grüne und Kommunisten angehören, hatte
eigentlich schon Ende der Woche bestimmen wollen, wer im Falle einer
Regierungsübernahme Premier werden soll. Die Sozialisten benannten ihren
Parteichef Olivier Faure. Die Linkspartei hat neben anderen Kandidaten auch
Mélenchon im Auge. Der altlinke Stratege ist vielen bis in die eigene Partei
hinein wegen seiner autokratischen und polemischen Art ein Dorn im Auge.
Mélenchon aber spekuliert weiter auf Macht.

Kurzfristig kann der Streit im Linksbündnis Macron in die Karten spielen,
denn ein zerstrittenes linkes Lager wird er kaum mit der Regierungsbildung
beauftragen. Beobachter vermuten aber auch, dass es bei dem Streit der linken
Parteien schon um die Vorherrschaft mit Blick auf eine möglicherweise
vorgezogene Präsidentschaftswahl geht. Angesichts der politischen Krise könnte
Macron sich gezwungen sehen, vor Ende seiner Amtszeit 2027 schon demnächst
abzutreten.

Rücktritt der Regierung an diesem Dienstag?

Erwartet wird an diesem Dienstag, dass Macron das zunächst unter Verweis auf die "Stabilität des Landes" abgelehnte Rücktrittsgesuch des bisherigen Premiers
Gabriel Attal nun annehmen wird. Attal und seine Regierungsmannschaft wären im
Anschluss dann zwar nur noch geschäftsführend im Amt, können aber auch nicht mit
einem Misstrauensvotum gestürzt werden.

Bis zur Ernennung einer künftigen Regierung könnte Macron sich dann
problemlos bis zum Herbst Zeit lassen, denn dafür gibt es keine Frist. Der damit
einhergehende politische Stillstand könnte sich noch verlängern, wenn der
Präsident sich am Ende mangels stabiler Mehrheit für das Einsetzen einer aus
Experten, hohen Verwaltungskräften und Ökonomen zusammengestellte technischen
Regierung entscheidet. Eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen sind auf
jeden Fall erst in einem Jahr wieder möglich./evs/DP/zb

--- Von Michael Evers, dpa ---

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