22.05.2024 15:27:23 - dpa-AFX: ROUNDUP: Deutschland fällt bei Lebenserwartung in Westeuropa weiter zurück

WIESBADEN (dpa-AFX) - Deutschland gehört in Westeuropa zu den
Schlusslichtern bei der Lebenserwartung und verliert weiter an Anschluss. Das
zeigt eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB)
und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, die die
Sterblichkeitstrends über mehrere Jahrzehnte untersucht hat.

Im Jahr 2000 betrug der Rückstand Deutschlands zur durchschnittlichen
Lebenserwartung bei Geburt in Westeuropa rund 0,7 Jahre. Bis 2022 hat sich der
Abstand auf 1,7 Jahre vergrößert. "Der Beginn der 2000er-Jahre markiert einen
Wendepunkt in der Dynamik der Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland", fasst
BiB-Erstautor Pavel Grigoriev die Ergebnisse zusammen.

Seitdem sei die Sterblichkeitslücke zwischen Deutschland und anderen
westeuropäischen Ländern relativ stetig gewachsen. In der Studie verglichen
wurden die Daten von insgesamt 15 Staaten in Westeuropa, darunter die Schweiz,
Österreich, Dänemark, Großbritannien und Finnland.

Ostdeutschland holt auf

Wie aus der Untersuchung hervorgeht, konnte Ostdeutschland nach der
Wiedervereinigung zunächst den Rückstand gegenüber Westdeutschland und
Westeuropa erheblich verringern. Dazu hätten auch die finanziellen Investitionen
in die Gesundheitsversorgung beigetragen, heißt es. "Seit der Jahrtausendwende
haben jedoch sowohl West- als auch Ostdeutschland gegenüber den anderen Ländern
Westeuropas an Boden verloren", heißt es in einer Mitteilung des Wiesbadener
Bundesinstituts.

Zu dem wachsenden Rückstand tragen einzelne Altersgruppen in
unterschiedlicher Art und Weise bei, so die Forscher. Bei Frauen weisen in
Deutschland vor allem Personen ab 75 Jahren eine höhere Sterblichkeit auf als
Gleichaltrige im westeuropäischen Ausland. Dagegen trägt bei den Männern
insbesondere die Altersgruppe zwischen 55 und 74 Jahren zur Lücke bei.

Hauptrisiko: Herzkreislauferkrankungen

"Der langjährige Rückstand in der deutschen Lebenserwartung scheint sich
wesentlich durch eine höhere Sterblichkeit aufgrund von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen im fortgeschrittenen Erwachsenenalter bzw.
Rentenalter zu erklären", schreiben die Autoren.

Das zeigt auch eine andere Studie von 2020 über 15 Länder mit niedriger
Sterblichkeit. Zusammen mit Österreich wies Deutschland im Jahr 2015 den
höchsten Anteil an Sterbefällen durch Kreislauferkrankungen auf. Dieser Anteil
lag bei Frauen zehn und bei Männern acht Prozentpunkte über dem
Durchschnittswert.

Krebs als "konkurrierendes Risiko"

Beim Anteil der Krebssterbefälle lag Deutschland unter dem Durchschnittswert der 15 Länder. Aber der erste Eindruck täuscht: Die Forscher erklären das mit
dem Begriff "konkurrierende Risiken": Durch die hohe Sterblichkeit aufgrund von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduziert sich das Risiko, an Krebs zu sterben.

Bereits 2023 hatte eine Studie gezeigt, "dass Deutschland trotz eines hohen
wirtschaftlichen Entwicklungsstands, eines stark ausgebauten Wohlfahrtsstaats
und eines gut zugänglichen und leistungsfähigen Gesundheitssystems seit Langem
eine verhältnismäßig niedrige Lebenserwartung aufweist".

Mangelnde Prävention und Früherkennung

Für BiB-Forschungsdirektor Sebastian Klüsener besteht Handlungsbedarf vor
allem bei der Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Ähnliches gilt für die Bereiche Tabak- und Alkoholprävention sowie gesunde
Ernährung. "Hier besteht noch einiges Potenzial, um uns für den momentanen
Alterungsprozess der Gesellschaft besser aufzustellen", so Klüsener.

Die Autoren der Studie empfehlen in ihrem Fazit dringend "eine
Neuadjustierung von Prioritäten und Investitionen im Gesundheitswesen". Die
Fokussierung auf mehr Vorbeugung sollte zeitnah erfolgen, "damit auch die stark
besetzten Babyboomer-Kohorten noch davon profitieren und gesünder altern
können"./sat/DP/tih

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