27.06.2024 15:32:54 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Kürzere Einbürgerungsfrist gilt - FDP betont hohe Anforderungen

BERLIN (dpa-AFX) - Mit Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsgesetz
hat die Ampel-Koalition eines ihrer zentralen Vorhaben in der Migrationspolitik
verwirklicht. Die seit Donnerstag geltenden neuen Regeln sehen kürzere Fristen
vor und erlauben den Doppelpass ab sofort für alle. Umstritten sind sie nach wie
vor.

Es sei gut, dass sich das Gefühl vieler Bürgerinnen und Bürger, mehrere
Heimaten und Zugehörigkeiten zu haben, nun endlich auch in Form von zwei Pässen
manifestiere, sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland
(TGD), Gökay Sofuoglu. Gerade für die türkeistämmige Bevölkerung sei das ein Akt
der Anerkennung ihrer Lebensrealität und auch der Wertschätzung ihrer Leistungen
in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. "Umso mehr trifft mich die erneute
pessimistische Debatte, in der so getan wird, als gäbe es fortan irgendwas
geschenkt für Menschen, die sich hier nicht anstrengen würden", sagte Sofuoglu.

Die Unionsfraktion hatte angekündigt, sie wolle die Reform nach der nächsten Bundestagswahl, sollte ihr das dann möglich sein, rückgängig machen. Die
AfD-Fraktionsvorsitzende, Alice Weidel, sagte am Donnerstag: "Die
Migrationskrise wird verschärft, das deutsche Staatsvolk, der Souverän, wird
ohne Einverständnis transformiert."

Länder erhielten Anwendungshinweise

Um eine bundesweit einheitliche Umsetzung der Reform zu ermöglichen, hat das Bundesinnenministerium nach eigenen Angaben wenige Tage vor dem Starttermin der
neuen Regeln für die Einbürgerung vorläufige Anwendungshinweise dazu an die
Länder geschickt.

Diese haben allerdings für die Länder, deren Behörden die Einbürgerungen
vornehmen, keinen bindenden Charakter, wie ein Sprecher erläuterte. Er sagte der
Deutschen Presse-Agentur: "Die Praxis der vergangenen Jahre hat jedoch gezeigt,
dass die Länder sich an den Anwendungshinweisen des Bundesinnenministeriums
orientieren, damit die gesetzlichen Regelungen zum Staatsangehörigkeitsrecht
einheitlich angewandt werden."

Das von der Ampel-Koalition formulierte Gesetz sieht vor, dass ein Anspruch
auf Einbürgerung nun schon nach fünf statt bisher acht Jahren besteht -
vorausgesetzt der Antragsteller erfüllt alle Bedingungen. Bei besonderen
Integrationsleistungen sollen Ausländerinnen und Ausländer bereits nach drei
Jahren Deutsche werden können. Voraussetzungen für die schnellere Einbürgerung
sind gute Leistungen in Schule oder Job, hervorragende Sprachkenntnisse oder
ehrenamtliches Engagement. Mehrstaatigkeit wird generell zugelassen.

Voraufenthaltszeit von fünf statt acht Jahren

Alle in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern erhalten ab sofort die deutsche Staatsangehörigkeit und können die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern
behalten, wenn mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf - statt bisher acht
- Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht
besitzt. Die sogenannte Optionsregelung, die bisher für nicht in Deutschland
aufgewachsene junge Menschen galt, entfällt. Um die Leistungen der
DDR-Vertragsarbeiter und der sogenannten Gastarbeiter zu würdigen, wurden für
diese Gruppen die Anforderungen für eine Einbürgerung gesenkt.

"Darauf haben viele seit Jahrzehnten gewartet", sagte die
Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD).
Deutschland habe mit der Reform "endlich ein Staatsangehörigkeitsrecht auf der
Höhe der Zeit".

Hürden nicht gesenkt

Die FDP wies darauf hin, dass die Hürden für die Einbürgerung trotz der
kürzeren Fristen insgesamt nicht gesenkt würden. "Den deutschen Pass zu
bekommen, geht künftig schneller, wird aber schwerer, denn die Voraussetzungen
für die Einbürgerung wurden deutlich verschärft", sagte der FDP-Innenpolitiker
Stephan Thomae.

Eine höhere Zahl von Anträgen bedeute auch nicht zwingend, dass es
langfristig zu deutlich mehr Einbürgerungen kommen werde. Denn wer Deutscher
werden wolle, müsse anders als bisher finanziell auf eigenen Beinen stehen,
sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete. "Zudem verschärfen wir Prüfungen, damit
Antisemiten und Menschen, die unsere Werte nicht teilen, nicht eingebürgert
werden", fügte er hinzu.

Die Innenbehörden der Länder und der Deutsche Landkreistag rechnen dagegen
mit einer deutlichen Zunahme der Einbürgerungen. "Wir schätzen, dass sich die
Zahl der Einbürgerungsanträge verdoppeln, teilweise verdreifachen wird", sagte
Präsident Reinhard Sager der "Bild"-Zeitung (Donnerstag).

"Lippenbekenntnis" zur historischen Verantwortung Deutschlands reicht nicht

Wie aus dem Innenministerium verlautete, beinhalten die an die Länder
übermittelten Anwendungshinweise etwa Hinweise, was Anhaltspunkte für ein nicht
wirksames "Lippenbekenntnis" zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des
Grundgesetzes und zur "besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für
die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen" sein könnten.
Dazu zählten beispielsweise "Aufrufe zur Vernichtung des Staates Israel" und
entsprechende Sympathiebekundungen in den sozialen Medien, ebenso "Kriegshetze"
und homophobe Handlungen.

Praktische Hinweise gibt das Bundesinnenministerium den Ländern auch dazu,
wie festzustellen ist, ob jemand, der als Angehöriger der sogenannten
Gastarbeiter-Generation keinen schriftlichen Sprachnachweis erbringen muss,
zumindest über ausreichende mündliche Sprachkenntnisse verfügt.

Konkrete Hinweise gibt es auch zu der nunmehr eingeschränkten Möglichkeit
einer sogenannten Ermessenseinbürgerung. Die kommt zum Beispiel aufgrund einer
schwerwiegenden Erkrankung infrage oder wenn jemand wegen der Pflege von
Angehörigen seinen Lebensunterhalt nicht vollständig allein bestreiten kann.
Dazu heißt es aus Ministeriumskreisen, Voraussetzung für eine Einbürgerung auf
Basis der Härtefallregelung sei, dass jemand, der einer der im Gesetz genannten
"vulnerablen Personengruppen" angehöre, "alles objektiv Mögliche und subjektiv
Zumutbare" getan habe, um den eigenen Lebensunterhalt zu sichern und dennoch,
ganz oder teilweise, auf öffentliche Leistungen angewiesen sei.

Linke kritisiert: "Einbürgerung wird zur Lotterie"

Linken-Chefin Janine Wissler kritisierte, dass trotz der Lockerung viele
Menschen von Einbürgerungen ausgeschlossen blieben. Dazu zählten
Alleinerziehende, die wegen fehlender Kita-Plätze nicht Vollzeit arbeiten
könnten. "Für die Betroffenen wird die Einbürgerung so zur Lotterie, da es im
Ermessen des Amtes liegt, ob diese Menschen eingebürgert werden oder nicht",
meinte Wissler. Sie beklagte zudem, dass wegen Überlastung der Behörden viele
Interessierte wohl noch jahrelang auf ihren deutschen Pass warten müssten.

Schon in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Einbürgerungen stark
gestiegen: 2023 wurden in Deutschland rund 200 100 Ausländer eingebürgert - und
damit so viele wie noch nie seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000. Laut
Statistischem Bundesamt waren es im Vergleich zum Vorjahr rund 31 000 (plus 19
Prozent) mehr, nachdem die Zahl schon 2022 um rund 37 000 (plus 28 Prozent)
gestiegen war. Ein Grund für den Anstieg ist, dass viele Menschen, die in den
Jahren 2015 und 2016 als Asylsuchende nach Deutschland gekommen waren,
inzwischen die Anforderungen für eine Einbürgerung erfüllen./abc/DP/jha

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH