14.05.2024 07:05:05 - dpa-AFX: HINTERGRUND: 'Menschenrecht auf Klimaschutz' - Warum Klimaklagen so wichtig sind

BERLIN (dpa-AFX) - Der Kampf gegen den Klimawandel hat längst die
Gerichtssäle in Deutschland erreicht. Im Fokus steht dabei nicht nur die
politische Debatte, sondern zunehmend auch die juristische Auseinandersetzung um
konkrete Maßnahmen zum Schutz der Umwelt. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger
sowie Organisationen greifen zu solchen Mitteln, um Regierungen zu mehr
Klimaschutz zu zwingen.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert vom Oberverwaltungsgericht (OVG)
Berlin-Brandenburg, dass die Bundesregierung ein Klimaschutzprogramm mit
konkreten Maßnahmen aufstellen muss, um die Klimaziele einzuhalten. Die
Entscheidung könnte weitreichende Folgen haben.

Klimaklagen spielen laut Rechtsanwältin Roda Verheyen in Deutschland
mittlerweile eine wichtige Rolle, da die Klimaziele immer wieder verfehlt
werden. "Das Bundesverfassungsgericht hat 2021 grundlegend gesagt: Es gibt ein
Menschenrecht auf Klimaschutz, und das gilt es jetzt auch in die Wirklichkeit
umzusetzen", erklärt die Klimaanwältin der Deutschen Presse-Agentur.

Umwelthilfe hat mit Klage langfristige Ziele im Blick

Mit ihrer aktuellen Klage möchte die DUH erreichen, dass die Bundesregierung ein Klimaschutzprogramm erlässt, das die Klimaziele auch tatsächlich erreicht.
Gemeinsam mit der Umweltschutzorganisation BUND habe die Deutsche Umwelthilfe
bereits einmal beim OVG Berlin-Brandenburg gewonnen, erinnert Verheyen. Die
Bundesregierung sei auf Grundlage des Paragrafen 8 des Klimaschutzgesetzes zur
Erstellung eines Sofortprogramms in den Sektoren Verkehr und Gebäude verurteilt
worden. Dagegen läuft die Revision beim Bundesverwaltungsgericht.

"Jetzt geht es der DUH um das langfristige Klimaschutzprogramm 2030 in der
Fassung der Ergänzungen von 2023", erläutert Verheyen zum aktuellen Fall. Die
Bundesregierung dagegen bestreitet vor allem die Zulässigkeit dieser Klage.

Auf immer mehr Klagen folgen immer mehr Gerichtsprozesse

Einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen UNEP zufolge seien
2022 weltweit knapp 2200 Klimaklagen verhandelt worden. Bei der ersten Auflage
des Berichts 2017 waren es noch weniger als 900. Die Zahl der Gerichtsverfahren
hat sich demnach in den vergangenen fünf Jahren also mehr als verdoppelt.

In der Vergangenheit konnten bereits durch Klimaklagen in Deutschland
- wie dem historischen Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts
Anfang 2021 - Erfolge erzielt werden. Neben denen der DUH und anderer
Organisationen sind auch Klagen von Privatpersonen von Bedeutung.

So haben etwa Klimaschützerinnen mit einer ersten Klage für schärfere
Maßnahmen gegen den Klimawandel Ende März 2024 vor dem Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte (EGMR) Erfolg gehabt. Der mangelnde Klimaschutz der Schweiz
habe die klagenden Seniorinnen in ihren Menschenrechten verletzt, so die
Richter. Die Frauen seien in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben und in
ihrem Recht auf ein faires Verfahren berührt worden, hieß es.

Das Urteil könnte ein Präzedenzfall für weitere Klimaklagen sein, ist aber
erst einmal nur in der Schweiz bindend. Dennoch ist es ein wichtiges Zeichen.
Denn: Der EGMR mit Sitz im französischen Straßburg gehört zum Europarat und ist
für die Einhaltung der Menschenrechtskonvention zuständig. Zum Europarat zählen
die EU-Staaten, aber auch andere große Länder wie die Großbritannien oder die
Türkei. Es könnte also gut sein, dass nationale Gerichte dem Urteil folgen.

Diese Klimaklagen landen vor deutschen Gerichten

Doch wie wird das alles von deutschen Gerichten behandelt und welche
rechtlichen Grundlagen spielen dabei eine Rolle? "Es gibt da ein sehr diverses
Bild", sagt Klimaanwältin Verheyen. Es ist kompliziert, denn nach Angaben von
Greenpeace wird zwischen verschiedenen Typen von Klimaklagen unterschieden, die
vor unterschiedlichen Gerichten auf Basis unterschiedlicher Gesetze verhandelt
werden.

Verstößt etwa die Bundesregierung gegen geltende Gesetze, könne sie vor dem
Verwaltungsgericht verklagt werden - so wie bei der aktuellen Klage der DUH vor
dem OVG Berlin-Brandenburg. Verletzen aber neu verabschiedete oder geänderte
Gesetze Grundrechte, können Menschen gegen sie vor dem Bundesverfassungsgericht
Verfassungsbeschwerde einreichen.

Klagen gegen Unternehmen werden dagegen auf Basis des bürgerlichen
Gesetzbuches vor Zivilgerichten verhandelt. Dabei gibt es laut Greenpeace zwei
Arten: Zum einen seien dies Schadensersatzklagen für bereits freigesetzte
Emissionen und die Schäden, die durch die so verursachte Erderhitzung entstehen.
Zum anderen handele es sich um Unterlassungsklagen, wenn Produkte oder
Unternehmensstrategien nicht mit dem Pariser Klimaschutzabkommen und dem dort
vereinbarten 1,5 Grad Celsius Ziel kompatibel sind.

Insgesamt zeigen diese Beispiele, dass Klimaklagen ein wirksames Instrument
sein können, um Druck auf die Politik auszuüben und sie zu mehr Klimaschutz zu
zwingen. Dabei ist der Wunsch von Anwälten und Umweltorganisationen eigentlich
ein anderer. Verheyen hofft irgendwann, "keine Klimaklagen mehr erheben zu
müssen, weil einfach Gesetze und Klimaziele eingehalten werden". Der Staat werde
sich so lange Klimaklagen aussetzen, wie Klimaziele nicht ausreichend
ambitioniert seien oder die Klimaziele nicht eingehalten werden. "Wir haben nur
noch 20 Jahre, um die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft zu transformieren, da
müssen alle ran, auch die Gerichte", meint sie./skc/DP/jha

--- Von Serhat Koçak, dpa ---

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