21.06.2024 14:34:44 - dpa-AFX: EM 2024/ROUNDUP/Nagelsmanns Schweiz-Geheimnis: Döner und geschlossene Türen

HERZOGENAURACH (dpa-AFX) - Julian Nagelsmann wischte den leisesten Zweifel
an Konzentration und Spannkraft mit einer Entscheidung einfach weg. Türen zu.
Training geschlossen. Das war das Signal vor dem Gruppenfinale um Platz eins
gegen die Schweiz. Die Fußball-Fans im Land fiebern in pink und weiß Episode III
der schwarz-rot-goldenen EM-Party entgegen.

Am Übungsplatz wollte der Bundestrainer am Freitag in Herzogenaurach aber in aller Ruhe seine Idee für den dritten Sieg im dritten EM-Spiel mit seiner
Mannschaft einstudieren. Die taktische Formation wurde schon auf den Rasen
gestellt, verriet danach der Gute-Laune-Joker Deniz Undav. Die Spieler kennen
also den Schweiz-Plan frühzeitig.

Ein Nachlassen gibt es nicht. Müßiggang wird vom Bundestrainer dosiert. Zum
Beispiel mit Döner für alle, serviert im Teamquartier von Antonio Rüdigers
bestem Imbiss-Kumpel Arif Keles aus Berlin am Tag nach dem Sieg gegen Ungarn.
Scharf, mit allem, versteht sich. "Es war schön, mal wieder einen Döner zu
essen. Heute gab es wieder Nudeln und Gemüse", sagte Undav breit grinsend zum
Speiseplan.

Sportlich ist auch viel Würze drin. "Wir wollen Erster werden, wir wollen
jedes Spiel gewinnen", versicherte der Bundestrainer vor der Partie am Sonntag
(21.00 Uhr/ARD/Magenta TV) gegen die auf Platz zwei immer noch lauernden
Eidgenossen.

Rasensorge um Musiala

Kleinere und mittelgroße Aufreger gibt es immer. Plötzlich macht der Rasen
im Frankfurter Stadion Sorgen. EM-Zauberfuß Jamal Musiala hat das schmierige
Geläuf aus dem Test gegen die Niederlande (2:1) im März noch in leidvoller
Erinnerung. Die Greenkeeper müssen dort dringend nochmal ran, entschied am
Freitag die UEFA. "Der Rasen ist extrem seifig. Er geht extrem schnell kaputt.
Der Rasen ist nicht so fest, was Probleme bereitet", sagte Chris Führich. Sein
immer launiger VfB-Kollege Undav machte aber klar: "Ob wir auf Rasen spielen
oder auf Stein, egal, wir müssen gewinnen."

Nagelsmann will auf seinem Turnierweg im Vollgas-Modus nicht ausrutschen.
Taktieren ist nicht sein Ding, schon gar nicht bei den Resultaten. "Wir können
die Ergebnisse in den anderen Gruppen nicht beeinflussen", sagte er. Platz eins
ist der Platz, auf dem Nagelsmann sich immer sieht. Aber wie geht er nach den
Gute-Laune-Siegen gegen Schottland (5:1) und Ungarn (2:0) personell vor? Beginnt
im dritten EM-Spiel wieder die erste Formation?

Rudi Völler als Vorbild?

Dreimal dieselbe Startelf in der Gruppenphase ist eine absolute Rarität.
Nicht einmal unter Langzeit-Bundestrainer Joachim Löw gab es das bei sieben
Turnieren. Der Letzte war Rudi Völler. Als Teamchef schickte er bei der WM 2002
in Asien seine elf Auserwählten um die Anführer Oliver Kahn, Michael Ballack und
Toptorschütze Miroslav Klose auf den Rasen.

Momentum und ein hohes Energielevel sind Nagelsmanns Kriterien. Mit dem
Gefühl der Stärke vorneweg gehen. Das soll auch gegen die Schweiz das Denken und
Handeln bestimmen. Die internationale Fußball-Konkurrenz beginnt sich
schließlich langsam wieder vor diesen Deutschen zu fürchten. "Wir wollen den Zug
noch mehr ins Rollen bringen", sagte Jonathan Tah. Wie man den Flow beibehält,
weiß der Innenverteidiger. Er selbst hat seine Meisterform von Bayer Leverkusen
einfach mit zur Nationalmannschaft gebracht.

Nagelsmann liebt den Rhythmus

Es spricht wenig dafür, dass Nagelsmann von seiner Turnier-Strategie mit der klaren Rollenverteilung im Kader in Stammkräfte und Herausforderer abweicht.
"Wir wollen schon weiter Rhythmus sammeln", sagte der Bundestrainer direkt nach
dem 2:0 gegen Ungarn zu möglichen Veränderungen in der Startformation. Er sagte
auch: "Es wird jetzt keine sieben Wechsel geben, das kann ich ausschließen."

Von angeschlagenen Akteuren mit Einsatz-Fragezeichen war vor der
Trainingseinheit hinter dickem Sichtschutz am Brückentag zwischen unmittelbarer
Spielnach- und Spielvorbereitung im fränkischen Teamquartier nichts bekannt.
Eine Pause braucht eigentlich auch keiner, da nach dem Vorrundenabschluss bis
zum Achtelfinale sechs Tage Zeit zur Erholung sind.

Aber bringen womöglich die UEFA-Regeln Nagelsmann zum Umdenken? Nach Robert
Andrich und Tah gegen Schottland sahen in Rüdiger und Maximilian Mittelstädt
gegen Ungarn zwei weitere Defensivkräfte die Gelbe Karte. Eine weitere
Verwarnung gegen die Schweizer - und der betroffene Spieler müsste im ersten
K.o.-Spiel aussetzen.

Kroos schielt auf Spanien

Beim letzten öffentlichen Training am Donnerstag sprach der Bundestrainer
auf dem Platz auffällig lange mit dem noch nicht eingesetzten Dortmunder
Innenverteidiger Nico Schlotterbeck. Ein Hinweis? "Am Ende sind wir in der
Pflicht als Trainer, zu reagieren", sagte Nagelsmann zum Umgang mit
vorbelasteten Spielern.

Doch jetzt ergibt eine freiwillige Pause wenig Sinn. Was, wenn dann die
Verwarnung im Achtelfinale kommt? Ein Stammspieler im möglichen Viertelfinale
fehlt? Dann womöglich gegen die stark aufspielenden Spanier, auf die sich
Real-Star Toni Kroos jetzt schon freut. "Das würde ich unterschreiben", sagte
der 34-Jährige zum sich anbahnenden Duell der Rekord-Europameister.

Unentschieden reicht

Aber Kroos weiß wie Nagelsmann, es geht nur Schritt für Schritt. Es war noch nie gut, ein Turnier vom Finale aus zu denken. Also, erstmal die Schweiz. Dafür
ist die Rechnung einfach. Nur bei einer Niederlage gegen die Eidgenossen, die
seit 86 Jahren kein Pflichtspiel gegen Deutschland gewinnen konnten, wäre
Deutschland Gruppenzweiter. Bei einem Sieg oder einem Unentschieden geht es wie
letztmals bei der EM 2016 als Gruppensieger weiter.

Da beginnen die Spekulationen, denen sich die Fans zur Genüge hingeben
können. Platz eins brächte vielleicht die Option einer EM-Revanche für das
Achtelfinal-Aus gegen England vor drei Jahren in Wembley. Und das vor maximal
stimmungsvoller Kulisse in Dortmund. Oder eine vermeintlich leichtere Aufgabe
gegen Dänemark, Slowenien oder Serbien. Bei Platz zwei sieht vieles nach Italien
aus - in Berlin, wo die Fans und auch Nagelsmann erst im Finale am 14. Juli
hinwollen./aer/DP/mis

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