16.07.2024 10:49:23 - dpa-AFX: Ärztlicher Zwang - Karlsruhe prüft Grundrechtsverletzung

KARLSRUHE (dpa-AFX) - Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob das
ausnahmslose Verbot ärztlicher Zwangsmaßnahmen bei betreuten Menschen außerhalb
von Krankenhäusern mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Thema betreffe einen
der "grundrechtssensibelsten Bereiche des Erwachsenenschutzes", sagte
Gerichtspräsident Stephan Harbarth zu Beginn der Verhandlung in Karlsruhe. Ein
Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.

Das höchste deutsche Gericht hatte 2016 entschieden, dass der Staat Menschen nicht sich selbst überlassen darf, die zum Beispiel wegen einer psychischen
Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit
einer Behandlung nicht erkennen und danach handeln können. Der Gesetzgeber müsse
unter strengen Voraussetzungen eine ärztliche Behandlung als letztes Mittel auch
gegen den Willen der Betroffenen vorsehen.

Harbarth machte deutlich, dass dabei zum einen ein angemessener Schutz der
Betreuten sichergestellt sein müsse, andererseits aber nicht unverhältnismäßig
in ihre Freiheitsrechte eingegriffen werden dürfe. "In diesem Spannungsfeld
bewegt sich auch die gesetzgeberische Entscheidung, an welchem Ort - oder an
welchen Orten - ärztliche Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden können", sagte der
Vorsitzende des Ersten Senats.

Laut der geltenden Rechtslage dürfen solche Zwangsmaßnahmen derzeit nur in
Krankenhäusern durchgeführt werden, nicht aber in spezialisierten ambulanten
Zentren, in Pflegeheimen oder im häuslichen Umfeld. Das gilt auch, wenn
Betroffene durch den Transport ins Krankenhaus gesundheitlich beeinträchtigt
werden - wie im konkreten Fall einer Frau durch Retraumatisierungen. Der
Bundesgerichtshof (BGH) hält das für unvereinbar mit dem Grundgesetz
- das prüft nun das Verfassungsgericht. (Az. 1 BvL 1/24)/kre/DP/mis

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH