15.05.2024 12:36:05 - dpa-AFX: POLITIK: Verfassungsgerichtspräsident: Parteiverbote nur völlige Ultima Ratio

KARLSRUHE (dpa-AFX) - Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan
Harbarth, hat sich für einen zurückhaltenden Einsatz von Parteiverboten
ausgesprochen. "Das Bundesverfassungsgericht hat immer betont, dass
Parteiverbote nur die völlige Ultima Ratio sind, also das letzte Mittel, zu dem
gegriffen werden kann", sagte Harbarth der Wochenzeitung "Die Zeit" (Donnerstag)
in Karlsruhe. "Es darf keine politische Auffassung einfach mundtot gemacht
werden, weil sie den Herrschenden nicht passt."

In der 75-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seien nur zwei
Parteien verboten worden, sagte der Jurist. Und das sei lange her. "Insofern
sind wir jedenfalls seit Ende der Fünfzigerjahre doch recht gut ohne den
Ausspruch von Parteiverboten zurechtgekommen, wenngleich von diesem Instrument
natürlich auch eine präventive Wirkung ausgeht."

Aus historischen Gründen habe Deutschland sich für dieses Instrument
entschieden, "das ein wichtiges Element der wehrhaften Demokratie darstellt",
antwortete Harbarth auf die Frage, warum andere Demokratien wie England und die
Vereinigten Staaten ohne Parteiverbote auskommen. "Man muss aber auch die
unterschiedliche Rolle von Parteien sehen: In den Vereinigten Staaten haben
Parteien eine andere, geringere Bedeutung als bei uns, ähnlich in Frankreich",
sagte der Gerichtspräsident und Vorsitzende des Ersten Senats. "Im
internationalen Vergleich sind die bundesdeutschen Parteien stärker als in den
meisten anderen Ländern. Deshalb ist auch das Bedrohungspotenzial, das eine
verfassungsfeindliche Partei in Deutschland entwickeln kann, größer als in
anderen politischen Systemen."

Rechtlich gesehen dürften Menschen in Deutschland sehr viel sagen, machte
Harbarth deutlich. "Da ist der Korridor in den vergangenen Jahren auch nicht
enger geworden." Von jeher stoße die Meinungsfreiheit an Grenzen, die im
Grundgesetz ausdrücklich genannt werden. "Unabhängig von allen rechtlichen
Aspekten stellt sich die Frage: Wozu führen rechtlich zulässige
Meinungsäußerungen gesellschaftlich?", fragte der frühere CDU-Politiker. "Führen
sie dazu, dass man miteinander ins Gespräch kommt? Dass man sich argumentativ
aneinander reibt? Oder werden Andersdenkende in irgendeine Schublade
gesteckt?"/kre/DP/stk

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