01.07.2024 16:18:48 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: 364 mutmaßliche Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden

BERLIN (dpa-AFX) - Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat sich
innerhalb von eineinhalb Jahren mit insgesamt 739 Fällen von Mitarbeitern der
Sicherheitsbehörden beschäftigt, zu denen Hinweise auf mögliche
rechtsextremistische Einstellungen und Aktivitäten aufgetaucht sind. In rund
jedem zweiten Fall (49 Prozent) seien tatsächliche Anhaltspunkte für
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gefunden worden,
stellt der Verfassungsschutz in seinem aktuellen Lagebericht zu
Rechtsextremisten in den Sicherheitsbehörden fest. Der Bericht betrachtet den
Zeitraum vom 1. Juli 2021 bis zum 31. Dezember 2022 und nimmt sowohl die
Landesbehörden als auch die des Bundes in den Blick.

Am häufigsten festgestellt wurden den Angaben zufolge extremistische
Äußerungen in sozialen Medien oder Chats, politisch motivierte Beleidigungen
sowie Kontakte zu oder Mitgliedschaften in extremistischen Organisationen und
Parteien oder deren Unterstützung. Nur in wenigen Fällen seien gewaltorientierte
Handlungen aufgefallen.

Von insgesamt 364 Beschäftigten, bei denen es konkrete Anhaltspunkte für
Verstöße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gab, waren 175 bei
den Bundessicherheitsbehörden beschäftigt. 189 Fälle entfielen laut Bericht auf
die Landesbehörden. Das Bundesinnenministerium weist allerdings darauf hin, dass
sich sowohl bei den Verdachtsfällen als auch bei den Fällen, in denen sich
tatsächliche Anhaltspunkte fanden, jeweils zu mehr als der Hälfte um Fälle
handelt, die bereits im zurückliegenden Lagebericht ausgewiesen wurden. Grund
dafür sei die bislang oft lange Dauer der Disziplinar- und arbeitsrechtlichen
Verfahren. Für den Bund könnten diese durch die am 1. April in Kraft getretene
Reform des Bundesdisziplinargesetzes beschleunigt werden.

Gefahr durch Soldaten und Polizisten im "Reichsbürger"-Milieu

"Es sind gemessen an mehr als 384 000 Beschäftigten allein im Bund wenige
Fälle", betont Faeser. Trotzdem sei es wichtig, dass hier genau hingeschaut
werde. Durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Landes- und Bundesbehörden seien
auch extremistische Sachverhalte entdeckt worden, die dem
Verfassungsschutzverbund bisher unbekannt gewesen seien, berichtet BfV-Präsident
Thomas Haldenwang. Er sagte: "Welche konkreten Gefahrenpotenziale von
Extremisten ausgehen, die im öffentlichen Dienst tätig sind oder waren, hat die
"Reichsbürger"-Gruppierung um Heinrich XIII. Prinz Reuß gezeigt."

Reuß und seinen mutmaßlichen Mitverschwörern wird vorgeworfen, Mitglieder
einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein beziehungsweise diese
unterstützt zu haben. Es soll ein bewaffneter Umsturz geplant gewesen sein.
Dabei sollen die Mitglieder der Gruppe bewusst Tote in Kauf genommen, so die
Anklage.

Weniger Verdachtsfälle durch mangelndes Problembewusstsein

Die von Haldenwangs Behörde veröffentlichten Zahlen bilden allerdings nicht
nur den Umfang des Phänomens in den Sicherheitsbehörden des jeweiligen
Bundeslandes ab, sondern auch das Problembewusstsein, das jeweils vor Ort
herrscht. Mit anderen Worten: Wo Vorgesetzte eher wegschauen oder rechtsextreme
Vorfälle verharmlosen, gibt es automatisch weniger Verdachtsfälle.

Den höchsten Anteil aktenkundiger Verdachtsfälle weist - gemessen an der
Zahl der Beschäftigten - mit 0,67 Prozent Berlin auf. In der Bundeshauptstadt
war im August 2020 ein "Konzept zur internen Vorbeugung und Bekämpfung von
möglichen extremistischen Tendenzen" vorgestellt worden, wonach Mitarbeiter
verpflichtet sind, entsprechende Sachverhalte zu melden. In Hessen lag der
Anteil bei 0,2 Prozent, in Sachsen bei 0,13 Prozent.

Gewerkschaft fordert mehr Unterstützung für zu Unrecht Beschuldigte

Bei der Bundespolizei, die im betrachteten Zeitraum rund 54 000 Beschäftigte hatte, kamen den Angaben zufolge 16 Fälle hinzu. Beim Bundeskriminalamt (BKA)
und dem Bundesnachrichtendienst (BND), wo deutlich weniger Beamte arbeiten,
fielen jeweils zwei mutmaßliche Rechtsextremisten auf. Unter den 263 000
Menschen, die im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums tätig waren,
wurden in den eineinhalb Jahren 53 sogenannte Altfälle sowie 75 neue Fälle
betrachtet.

Beamtinnen und Beamte, die sich nicht auf dem Boden der freiheitlich
demokratischen Grundordnung bewegen, müssten so schnell wie rechtsstaatlich
möglich aus dem Dienst ausscheiden, sagt der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft
der Polizei (GdP), Jochen Kopelke. "Beschäftigte des öffentlichen Dienstes
müssen populistischen, rassistischen und extremistischen Einflüssen gegenüber
resilient sein", betont er. Wichtig sei jedoch auch, dass der Dienstherr bei
falschen Verdächtigungen und nicht gerechtfertigten Disziplinarverfahren für
eine komplette Rehabilitation, der zu Unrecht Beschuldigten sorge./abc/DP/jha

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