09.07.2024 13:50:07 - dpa-AFX: EM 2024/Kracher in Dortmund: Im 'Premier-League-Style' ins Finale?

DORTMUND (dpa-AFX) - Die Atmosphäre wird ein EM-Höhepunkt, doch wird es der
Fußball auch? Im brisanten Halbfinale zwischen den Niederlanden und England
wollen beide Nationen ihren Traum vom ersten großen Titel seit Ewigkeiten mit
aller Macht am Leben erhalten. Mehr als 100.000 Fans aus beiden Ländern werden
am Mittwoch in Dortmund erwartet und den dortigen Fußballtempel in eine
ohrenbetäubende Stimmungshochburg in Orange und Weiß verwandeln. Dass sie auf
ein EM-Finale hoffen dürfen, haben sich ihre Nationalmannschaften allerdings
nicht unbedingt mit hoher sportlicher Kunst erspielt.

Vor allem die favorisierten Engländer rumpelten eher durchs Turnier, als
dass sie ihre Gegner beherrschten. Die Auftritte des Starensembles mit dem
größten Marktwert aller EM-Teams waren behäbig, oft uninspiriert. Dabei ist das
Potenzial riesig - auch und vor allem in der Offensive. Ob Bayern-Superstürmer
Harry Kane, Mittelfeldlenker Jude Bellingham oder die beiden Turbodribbler
Bukayo Saka und Phil Foden: Sie alle stehen eigentlich für Tempofußball mit
Torgarantie. Und nicht nur sie.

Viele Spieler kennen sich sehr gut

"Ich denke, wir werden ein Spiel im Premier-League-Style sehen", sagte der
niederländische Nationalspieler und frühere Bundesligaprofi Micky van de Ven,
der mittlerweile bei Tottenham Hotspur spielt. "Der Rhythmus und das Niveau des
Spiels werden hoch sein. Viele Spieler kennen sich aus der Premier League."

Tatsächlich hat das Duell ums EM-Finale etwas von einem großen
Klassentreffen. 31 Spieler in beiden Kadern spielen in der Premier League.
Andere wie der niederländische Mittelstürmer Memphis Depay waren schon in der
wohl besten Fußballliga der Welt aktiv. Auch sonst ist der Fußball der beiden
Nationen eng miteinander verknüpft.

In Arne Slot trainiert ein niederländischer Coach in der kommenden Saison
als Nachfolger von Jürgen Klopp den FC Liverpool. England-Verteidiger Luke Shaw
bekam vor dem Halbfinale bereits eine "freche Nachricht" von seinem
niederländischen Trainer bei Manchester United, Erik ten Hag. Und Bondscoach
Ronald Koeman hat ebenfalls eine besondere Beziehung zum kommenden Gegner.

Koeman und seine England-Geschichte

Als die Niederlande die Three Lions auf dem Weg zum EM-Titel 1988 in
Düsseldorf 3:1 besiegten, war der heute 61-Jährige als Spieler dabei. Fünf Jahre
später erzielte er in der WM-Qualifikation sogar ein Tor, nachdem er kurz zuvor
für eine Notbremse nur Gelb statt Rot gesehen hatte. Die Niederlande gewann
damals 2:0, England verpasste das Weltturnier. Als Trainer arbeitete Koeman
schon für den FC Southampton und den FC Everton. Er gilt als Pragmatiker - genau
wie sein Gegenüber Gareth Southgate.

Beide mussten sich in diesem Turnier heftige Kritik aus der Heimat gefallen
lassen. Nur Weiterkommen reicht vielen Fans und Beobachtern nicht. Einige
englische Anhänger warfen sogar Bierbecher nach Southgate, beleidigten ihn mit
obszönen Gesten.

"Ich kann nicht leugnen, dass es wehtut, wenn die Dinge so persönlich werden wie zuletzt. Ich glaube nicht, dass es normal ist, wenn einem Bier nachgeworfen
wird", sagte der 53-Jährige. "Aber wir stehen im dritten Halbfinale in vier
Turnieren. Wir machen weiter und genießen diese Reise."

Shaw stützt Trainer Southgate mit deutlichen Worten

2021 scheiterte England im EM-Finale im Elfmeterschießen an Italien. Diesmal soll endlich der zweite große Titel nach dem WM-Triumph 1966 im eigenen Land
her. Dabei könnte auch eine Art trotziger Zusammenhalt helfen. Gegen die Kritik
von außen stellt sich die Mannschaft geschlossen.

"Wir Spieler lieben ihn. Er ist genau das, was wir brauchen. Er ermöglicht
uns, auf dem Feld unser Bestes zu zeigen", sagte Linksverteidiger Shaw über
Southgate. Und Kane erklärte: "Wir sind im Halbfinale, also machen wir es wohl
recht gut. Wir haben wirklich diesen Glauben, dass wir etwas Besonderes schaffen
können."

Das und auch die Qualität, nach Rückständen zurückzukommen, haben sie mit
ihrem Gegner gemeinsam. Die teils schwachen Leistungen der Vorrunde und in der
ersten Hälfte im Viertelfinale gegen die Türkei bremsen die Euphorie bei den
Niederländern keineswegs. "Wir können stolz sein, dass wir das Halbfinale
erreicht haben", sagte Koeman. "Das hat niemand erwartet. Aber die Mission ist
noch nicht vorbei."

"Die Gelbe Wand gehört jetzt uns"

Beim Versuch erstmals seit der WM 2010 wieder in ein großes Endspiel
einzuziehen, wollen am Mittwoch (21.00 Uhr/ARD/MagentaTV) deutlich mehr Fans
dabei sein, als ins Stadion passen. Rund 62.000 Zuschauer sind bei EM-Spielen in
der Dortmunder Arena zugelassen. Bis zu 80.000 feierwütige Niederländer werden
in der Stadt erwartet und wohl auch wieder von links nach rechts hüpfend ihren
berühmten EM-Tanz zeigen. "Die Gelbe Wand gehört jetzt uns", titelte die
niederländische Zeitung "AD" am Dienstag mit Blick auf die legendäre
Südtribüne./the/DP/tih

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