16.07.2024 07:00:04 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Trumps rechte Hand

MILWAUKEE (dpa-AFX) - 2024 hält Donald Trump es mit der Verkündung seines
Vize ein wenig so wie damals mit seiner Reality-Show "The Apprentice": Erst mal
fliegen Leute raus. Während die Delegierten beim Parteitag in Milwaukee gerade
dabei sind, den Republikaner offiziell zu ihrem Präsidentschaftskandidaten zu
küren, tröpfeln die ersten Nachrichten herein. Der Senator Marco Rubio: raus.
Der Gouverneur Doug Burgum: raus. Ihre Namen kursierten seit Wochen, genau wie
der des schlussendlich Auserwählten. Den liefert der 78-Jährige dann auf seinem
Sprachrohr Truth Social, wo sonst: J.D. Vance.

Der Außenseiter

Anders als Trumps Vizepräsident während dessen erster Amtszeit, Mike Pence,
schaut Vance nicht auf eine lange politische Laufbahn zurück. In der Hauptstadt
Washington ist er ein Newcomer. Erst seit 2023 vertritt er als Senator im
Kongress seinen Heimatbundesstaat Ohio, machte dort in den vergangenen
anderthalb Jahren aber mächtig Lärm als Anhänger des rechten Flügels der
republikanischen Fraktion. Trump, der selbst vom politischen Außenseiter zum
Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde, hat sich mit Vance also einen Vize
ausgesucht, der ihm zumindest in dieser Rolle ähnelt.

Ähnlichkeiten mit Trump zeigt Vance auch bei seiner scharfen Rhetorik. Das
zeigte sich, als der 39-Jährige nur wenige Stunden nach dem Attentat auf Trump
am Wochenende US-Präsident Joe Biden die Schuld gibt. Es war zu erwarten, dass
die Attacke, bei der ein Trump-Anhänger getötet, zwei weitere verwundet und
Trump am Ohr verletzt wurde, politisiert wird. Vance' Post auf der Plattform X
kam aber doch auffällig schnell.

Der Autor

Im Gegensatz zu Trump stammt Vance allerdings aus einer Arbeiterfamilie. Er
wuchs in Ohio in instabilen Verhältnissen auf und verbrachte große Teile seiner
Kindheit bei den Großeltern. Nach dem Schulabschluss ging er zum Militär, diente
im Zuge dessen auch im Irak. Im Anschluss begann Vance, der immer wieder den
Stellenwert von Bildung betont, seine akademische Laufbahn - er beendete sie als
Jurist mit Abschlusszeugnis von der Eliteuniversität Yale. Dort lernte er auch
seine heutige Ehefrau Usha Chilukuri Vance kennen, eine Tochter indischer
Einwanderer, mit der er drei Kinder hat. Später arbeitete er als
Wagniskapitalgeber, unter anderem im kalifornischen Silicon Valley.

Während seiner Zeit im Finanzsektor begann Vance zunehmend, über seine
eigenen Wurzeln und die Herausforderungen der weißen Arbeiterklasse zu
reflektieren, aus der er stammt. Diese Eindrücke flossen in seine Memoiren
"Hillbilly-Elegie" ein, mit denen er 2016 Erfolge feierte. Der Bestseller, der
auch verfilmt wurde, erzählt von einer Schicht, die damals Trumps Wahlsieg mit
möglich machte. Mit dem Buch bekam Vance nicht nur Anerkennung, sondern auch
eine Möglichkeit, seine politischen Anliegen in den öffentlichen Diskurs zu
bringen.

Der Wandelbare

Vance hatte vor einigen Jahren wenig freundliche Worte für Trump übrig. Er
sprach von sich selbst als "Never Trumper" und nannte den Republikaner einen
"Idioten". Angeblich soll er Trump auch einmal in einer privaten Nachricht mit
Adolf Hitler verglichen haben. Und Vance schrieb in einem Meinungsstück in der
"New York Times": "Herr Trump ist ungeeignet für das höchste Amt unseres
Landes." In die Politik stieg Vance aber erst 2021 so wirklich ein und
kandidierte ein Jahr später für den US-Senat.

Im parteiinternen Vorwahlkampf warf Vance dann auch seine alten Bedenken
über Bord und sicherte sich Trumps Unterstützung - und somit schließlich auch
den Sieg über die parteiinterne Konkurrenz. Seinen Erfolg bei der Wahl um den
Senatsposten dürfte Vance allerdings nicht nur seiner politischen Botschaft,
sondern auch äußerst spendablen Geldgebern zu verdanken haben, die er aus seiner
Zeit an der Westküste kennt. Darunter ist der Paypal-Gründer Peter Thiel - er
spendete Millionen für den Wahlkampf. So oder so: Für einen politischen
Neueinsteiger ist ein Senatsposten ein beachtlicher Karrierestart.

Der Hardliner

Auch in Deutschland und Europa dürfte man gespannt auf Trumps Vizekandidaten schauen. Er steht beispielhaft für den konservativen Isolationismus, der sich
bei den Republikanern durchgesetzt hat. Der hat unter Trump und dessen
Amerika-zuerst-Politik Schule gemacht und ist der Gegenentwurf zur
interventionistischen Außenpolitik eines Ronald Reagans oder George W. Bushs.

Vance spricht sich besonders deutlich gegen die Milliardenunterstützung der
USA für die von Russland angegriffene Ukraine aus. Wenige Tage vor Ausbruch des
Krieges sagte Vance dem rechten Scharfmacher Steve Bannon: "Es ist mir
eigentlich egal, was mit der Ukraine passiert, so oder so." Gut zwei Jahre
später schrieb er: "Bidens Regierung hat keinen tragfähigen Plan, wie die
Ukrainer diesen Krieg gewinnen können. Je eher sich die Amerikaner dieser
Wahrheit stellen, desto eher können wir dieses Chaos beheben und für den Frieden
vermitteln." Von den Europäern erwartet Vance, mehr für die Ukraine zu tun.
Gleichzeitig stellt Vance sich hinter Israel im Kampf gegen die islamistische
Hamas.

Innenpolitisch ist er ein Abtreibungsgegner und hat sich gegen die
Festschreibung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch per Gesetz oder den
bundesweiten Zugang zu Verhütungsmitteln gestellt. Auch bei anderen
gesellschaftlichen Themen orientiert er sich weitgehend am rechten Flügel der
Partei. Vance fordert eine Einwanderung nach Leistungsprinzip und die
Fertigstellung von Trumps Grenzmauer. Er sagte außerdem einst: "Ich bin
skeptisch gegenüber der Vorstellung, dass der Klimawandel allein durch den
Menschen verursacht wird."

Der Vizekandidat

Schon in der Ankündigung, dass Vance sein Vize wird, machte Trump klar,
worin er die Aufgaben des jungen Senators sieht. Vance werde sich im Wahlkampf
unter anderem auf Arbeiter und Farmer in umkämpften Bundesstaaten wie
Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, Ohio, Minnesota konzentrieren, schrieb er.
Diese sogenannten Swing States sind weder fest in der Hand der Demokraten noch
der Republikaner - und sind damit wahlentscheidend. Trump dürfte sich von Vance
also versprechen, dass er Wählerinnen und Wähler aus der weißen Arbeiterschicht
Amerikas anzieht.

In den vergangenen Monaten war viel über Trumps möglichen Vizekandidaten
spekuliert worden. Beobachter hatten damit gerechnet, dass Trump - selbst ein
alter weißer Mann - wegen des Zugangs zu bestimmten Wählergruppen auf eine Frau
oder einen Schwarzen setzen würde. Schon in den vergangenen Wochen hatte sich
aber herauskristallisiert, dass dies nicht der Fall sein würde.

Vance stand nun zwar auf dem Parteitag im Milwaukee im Mittelpunkt -
zumindest so lange, bis Trump mit einem Verband am Ohr auftauchte. Wofür er im
Wahlkampf und möglicherweise als Vizepräsident stehen will, hat er aber bisher
nicht verraten. Seine Rede beim Parteitag wird traditionell in der deutschen
Nacht zu Donnerstag erwartet./gei/DP/zb

--- Von Julia Naue und Luzia Geier, dpa ---

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