03.07.2024 12:35:46 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Gysi und Bartsch fordern 'personelle Erneuerung' der Linken

BERLIN (dpa-AFX) - Nach den verheerenden Wahlniederlagen der Linken fordern
die früheren Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi und Dietmar Bartsch einen
Neustart an der Spitze ihrer Partei. "Ich sage es hier ganz offen, wir brauchen
eine strukturelle, politische und personelle Erneuerung", sagte Gysi mit Blick
auf den Parteitag im Oktober. Mache man nach dem Ergebnis von 2,7 Prozent bei
der Europawahl so weiter, würde dies "natürlich eine Katastrophe". Bartsch
sagte: "Die entscheidende Frage ist wirklich die, dass es eine Alternative
gibt." Die Parteispitze reagierte kühl auf den Vorstoß.

Die Linke wird seit 2022 vom Duo Janine Wissler und Martin Schirdewan
geführt. Sie verbuchten seither eine Serie von Wahlschlappen. Nach dem
schlechten Abschneiden bei der Europawahl hatte Schirdewan angedeutet, dass er
über einen Rückzug beim Parteitag nachdenke. "Ich werde rechtzeitig darüber
informieren, ob ich noch einmal antrete", sagte er vergangene Woche dem
"Tagesspiegel". Auch Schirdewan gab an, ein "Weiter so" könne es nicht geben.
Von möglichen personellen Konsequenzen hatte er schon am Wahltag gesprochen.

"Personaldebatte kontraproduktiv"

Linken-Bundesgeschäftsführerin Katina Schubert rügte jedoch den Zeitpunkt
der Äußerungen von Gysi und Bartsch vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen
und Brandenburg im September. "Eine Personaldebatte vor den Wahlen ist für die
Unterstützung kontraproduktiv", meinte Schubert. Die Parteivorsitzenden hätten
bereits mit den Landeschefs einen Prozess verabredet, "um auf dem
Bundesparteitag zu einer inhaltlichen, strategischen und personellen Aufstellung
mit Blick auf die Bundestagswahl zu kommen". Am Wochenende soll es ein Treffen
zur Aufarbeitung der Europawahl geben.

Schubert spielte den Ball zurück an frühere Funktionsträger wie Bartsch und
Gysi, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Linksfraktion geführt hatten. Die
Probleme der Linken seien nicht neu, sagte die Geschäftsführerin. "Alle, die in
den letzten Jahren Verantwortung in Partei und Bundestagsfraktion tragen oder
bis vor kurzem getragen haben, sollten sich selbstkritisch hinterfragen, statt
öffentlich gegen andere auszuteilen. Mehr "Gemeinsam, weniger Ego" muss jetzt
die Devise sein."

Gysi und Bartsch halten weitere Kandidatur offen

Gysi, der seit 1989 diverse Führungspositionen in der SED/PDS und deren
Nachfolgeparteien hatte, gilt nicht nur als einer der profiliertesten
Linken-Politiker. Er half mit dem Gewinn eines von drei Direktmandaten auch mit,
die Linke 2021 wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag zu bringen, obwohl sie
unter der Fünf-Prozent-Hürde lag. Weder er noch Bartsch wollten sich festlegen,
ob sie 2025 noch einmal kandidieren.

Das sei noch nicht entschieden, sagte Bartsch (66). Es hänge auch von der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Wahlrecht ab, sagte Gysi
(76). Die Karlsruher Richter prüfen derzeit, ob es rechtens ist, dass die
Ampel-Koalition die Drei-Mandats-Klausel abschaffen will. Ein Urteil wird noch
für diesen Monat erwartet.

Die Linke steckt seit Jahren im Richtungsstreit und in der Krise. Im Oktober hatte die Partei mit Sahra Wagenknecht eine ihrer bekanntesten Politikerinnen
verloren. Sie gründete das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und erzielte bei der
Europawahl aus dem Stand 6,2 Prozent. Viele Stimmen kamen von der Linken.
Wagenknecht punktete unter anderem mit ihrer Haltung zum Ukraine-Krieg: keine
Waffen für Kiew, Verhandlungen mit Russland, Stopp der Russland-Sanktionen,
Rückkehr zu Direktimporten von Öl und Gas.

In der Sozial- und Wirtschaftspolitik hat Wagenknecht vieles von der Linken
übernommen, so die Forderung nach höheren Renten, Löhnen und
Gesundheitsleistungen. Vor allem in der Klima-, Migrations- und
Gesellschaftspolitik tritt sie auf die Bremse - anders als die Linke./vsr/DP/mis

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