08.07.2024 16:48:26 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Wie geht es nach der Wahl in Frankreich weiter?

PARIS (dpa-AFX) - Die Ereignisse bei der Parlamentswahl in Frankreich haben
sich überschlagen. Überraschend gewinnt das linke Lager. Die Rechtsnationalen
legen zu, haben aber keine Chance auf eine eigene Regierung. Präsident Emmanuel
Macron hält Premier Gabriel Attal samt der bisherigen Regierung vorläufig
geschäftsführend im Amt. Wie geht es in Frankreich weiter?

Kommt das Linksbündnis jetzt an die Macht?

Das zumindest fordern die Spitzen des Bündnisses Nouveau Front Populaire als stärkste Kraft in der Nationalversammlung. Sie wollen noch in dieser Woche einen
Kandidaten für das Amt des Premierministers bestimmen. Als Präsident obliegt es
Macron, den Premierminister zu ernennen. Ob er dem Vorschlag des Linksbündnisses
folgt oder jemand anderes aus dem Lager mit der Regierungsbildung beauftragt,
ist nicht abzusehen.

Trotz ihres Überraschungserfolgs bleiben die Linken weit von einer absoluten Mehrheit entfernt. Damit könnten die anderen Fraktionen eine linke Regierung
nicht nur per Misstrauensvotum stürzen. Auch haben die vergangenen zwei Jahre,
in denen das Macron-Lager nur eine relative Mehrheit in der Parlamentskammer
hatte, gezeigt, wie schwer es in Frankreich ist, ohne absolute Mehrheit zu
regieren. Ob dies den Linken besser gelingen würde, ist unklar, zumal sie noch
über weit weniger Sitze verfügen als Macrons Mitte-Kräfte vor der Auflösung der
Nationalversammlung vor wenigen Wochen.

Theoretisch ist auch eine Koalition aus Linken und Mitte-Kräften möglich.
Aus dem Linksbündnis heraus kamen jedoch bereits klare Absagen an eine solche
Allianz.

Wer verbirgt sich hinter dem Linksbündnis und wie stabil ist dieses?

Im neuen Linksbündnis haben sich Grüne, Sozialisten, Kommunisten und
Frankreichs Linkspartei zusammengeschlossen. Bereits vor der Parlamentswahl von
zwei Jahren raufte sich Frankreichs zuvor lange zerstrittene Linke zum Bündnis
Nupes zusammen und wurde stärkstes Oppositionslager. Der Zusammenschluss war ein
Coup des Gründers der Linkspartei La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon. Das
Nupes-Bündnis zerstritt sich in den letzten Monaten allerdings gründlich,
insbesondere wegen des propalästinensischen Kurses der Linkspartei und dem
Auftreten von Mélenchon.

Wesentlich ausgeglichenere Führungspersonen im Linksbündnis sind der
Spitzenkandidat der Sozialisten bei der Europawahl, Raphaël Glucksmann, und die
Generalsekretärin der Grünen, Marine Tondelier. Beide könnten noch eine wichtige
Rolle spielen.

Hat Macron zu hoch gepokert?

Ursprünglich hatte Macron mit der kurzfristig vorgezogenen Parlamentswahl
die Machtbasis seines Mitte-Lagers im Parlament verbreitern wollen, idealerweise
auf eine absolute Mehrheit, um wieder schlagkräftig regieren zu können.
Frankreichweit kassierte Macron auch aus den eigenen Reihen massive Kritik für
den riskanten Schritt, Neuwahlen anzusetzen. Die erste Runde ließ dann einen für
Macron desaströsen Ausgang befürchten. Vor der absoluten Blamage ist Macron nun
zwar bewahrt geblieben, sein Kalkül aber ging nicht auf und er steht geschwächt
vor einem politisch vorerst gelähmten Frankreich.

Welchen Zeitplan gibt es für die Regierungsbildung?

Hierzu gibt es keine genauen Vorgaben. Macron könnte mit der Ernennung eines Premiers auch bis nach der parlamentarischen Sommerpause warten. Allerdings
kommt das neu gewählte Parlament am 18. Juli zu seiner ersten Sitzung zusammen.
Dabei wird die Parlamentspräsidentin oder der Parlamentspräsident gewählt. Am
Folgetag wird über die Vizepräsidenten und die Besetzung von Ausschüssen
entschieden.

Was passiert, wenn keine Regierung gefunden wird?

Wenn keines der politischen Lager eine absolute Mehrheit erhält oder in
einer Koalition oder unter Duldung zur Bildung einer Regierung in der Lage ist,
kann Macron Premierminister Premier Attal samt der Übergangsregierung bitten,
noch eine Weile geschäftsführend im Amt zu bleiben. Diese Übergangszeit kann
etliche Wochen dauern, auch mit Blick auf die Olympischen Spiele, die am 26.
Juli in Paris starten, sowie die politische Sommerpause. Macron könnte dann eine
aus Experten, hohen Verwaltungskräften und Ökonomen zusammengestellte technische
Regierung bilden. Eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen sind erst in einem
Jahr wieder möglich.

Was sind die Auswirkungen auf Deutschland und Europa?

Das ist nicht klar. Das Linksbündnis hat die Führungsfrage bisher offen
gelassen und auch kein gemeinsames Programm. Insofern ist noch nicht ausgemacht,
welche Politik es umsetzen will, wenn es an die Regierung kommt. Fest steht
aber, dass das Bündnis bis auf einzelne Teile am linken Rand klar proeuropäisch
eingestellt ist und auch fest zur Unterstützung der Ukraine gegen den russischen
Angriffskrieg steht.

Bei politischem Stillstand in Frankreich könnten Berlin und Brüssel nicht
weiter auf Frankreich als starken Partner setzen. Das Land wäre mehr auf das
Verwalten als auf das Anstoßen neuer Vorhaben ausgerichtet.

Profitieren Le Pens Rechtsnationale dennoch vom Wahlausgang?

Auch wenn das Rassemblement National anders als prognostiziert nicht
stärkste Kraft geworden ist und selbst hinter dem Präsidentenlager landen
könnte, verbucht die Partei von Marine Le Pen erhebliche Zugewinne in der
Nationalversammlung. Sie ist dort stärker denn je vertreten. Damit wächst der
Einfluss der Partei in der Parlamentsarbeit und sie erhält mehr Geld aus der
Parteienfinanzierung, mit dem sie bereits die Vorbereitung der
Präsidentschaftswahl 2027 und der spätestens dann auch anstehenden nächsten
Parlamentswahl vorbereiten kann./evs/DP/men

--- Von Rachel Boßmeyer, Michael Evers und Regina Wank, dpa ---

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